Aktenzeichen 40/61. Unscheinbar und banal wie der Eindruck, den die Hauptfigur der Akte auf den ersten Blick hinterlässt. Hinter dem amtssprachlich kodifizierten Namen versteckt sich das vielleicht wichtigste Strafverfahren in der Geschichte Israels und einer der spektakulärsten Prozesse gegen NS-Verbrecher überhaupt: der Staat Israel gegen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann. Was am 11. April 1961 begann und acht Monate später in ein Todesurteil mündete, gilt bis heute als ein Meilenstein in der Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazis.
Wie ein schlechter Thriller liest sich die Geschichte Eichmanns von seiner Flucht am 24. Dezember 1944 über seine Auffindung und Entführung nach Israel. Mit falschen Identitäten, Gelegenheitsjobs und mit Hilfe ranghoher Kirchenvertreter gelang ihm die Flucht nach Argentinien.
Obwohl er auf der Liste der gesuchten Kriegsverbrecher steht und seit 1956 ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt, müssen viele Puzzleteile zusammenkommen, bis der israelische Geheimdienst in Buenos Aires zugreifen und Israels Ministerpräsident David Ben Gurion am 23. Mai 1960 öffentlich verkünden kann: Eichmann, einer der größten Naziverbrecher, ist in israelischer Hand. Dann geht alles ganz schnell.
Verbrechen gegen das jüdische Volk
In einer Zelle von drei mal vier Metern in einem Gefängnis im zentralisraelischen Ramle verbrachte Eichmann seine letzten zwei Lebensjahre, unter ständiger Kontrolle mehrerer Wachmänner und halbtäglichen Visiten durch den Anstaltsarzt. Zu groß war die Sorge, dass der Deutsche dem Prozess durch einen Suizid entgehen könnte. Im Gerichtssaal selbst schützte eine Kabine aus schusssicherem Glas das Leben des bestbewachten Angeklagten. Heute steht sie im Holocaustmuseum "Haus der Ghettokämpfer" im nordisraelischen Kibbuz Lochamei Hagetaot.
15 Punkte legte der israelische Generalstaatsanwalt Gideon Hauser Eichmann in seiner Anklageschrift schließlich zur Last. Die Anklage lautete auf Verbrechen gegen das jüdische Volk in vier Punkten, auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit in sieben Punkten, auf Kriegsverbrechen in einem Anklagepunkt sowie in drei weiteren auf Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation.
Der Prozessauftakt wurde nicht nur in die Straßen Jerusalems übertragen. 108 Zeugen, Überlebende, Experten, Historiker wurden gegen den Mann in der Glaskabine in den Zeugenstand gerufen, 1.600 Dokumente hinzugezogen. Weltweit berichteten Medien und rückten so das Ausmaß der Verbrechen des Holocaust in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit.
"Banalität des Bösen" löste Kontroverse aus
Nicht zuletzt die deutsch-jüdische Politologin Hannah Arendt, die als Prozessbeobachterin nach Israel gereist war, prägte mit ihren Reportagen das Bild von Eichmann als Schreibtischtäter par excellence. Das Mittelmaß und die Gedankenlosigkeit des NS-Funktionärs beschäftigten Arendt, die mit ihrer Rede von der "Banalität des Bösen" eine Kontroverse auslöste. Laut Arendt kam Eichmann eine weit kleinere Rolle bei der "Endlösung der Juden" zu, als ihm im Prozess vorgeworfen wurde.
Nach acht Monaten sahen die Richter die Schuld in nahezu allen Anklagepunkten als erwiesen an; Eichmann wurde am 15. Dezember zum Tode verurteilt. Der Angeklagte blieb durch den Prozess hindurch uneinsichtig. Er sei "lediglich Instrument der Führung" gewesen und damit "nicht schuldig".
Einziges vollstrecktes Todesurteil in Israel
Gegen die Todesstrafe für Eichmann sprachen sich wenige offen aus, etwa die jüdische Dichterin und Holocaustüberlebende Nelly Sachs, die um Gnade für den Verbrecher bat: "Lassen Sie kein Todesurteil gegen Eichmann ergehen - auch in Deutschland gab es die Gerechten - um ihretwillen sei Gnadenzeit. Ich darf vielleicht ohne anmaßend zu scheinen diese Bitte umso eher aussprechen, da ich weiter zu den Verfolgten gehöre."
Einsprüche blieben jedoch unerhört: Am 1. Juni 1962 wurde Eichmann um Mitternacht gehängt. Seine Asche wurde außerhalb israelischer Hoheitsgewässer ins Meer gestreut, um keinen Ort des Gedenkens zu schaffen.
Für Israel sollte es der einzige nennenswerte Nazi-Prozess bleiben und das einzige Todesurteil, das je vollstreckt wurde. Das Verfahren blieb dabei ein nachhaltig prägendes Ereignis, an das sich die meisten bis heute erinnern: Dutzende Dokumentar- und Spielfilme sind zudem zum Thema entstanden.