Aktion Sühnezeichen: Knesset-Rede war Zumutung und Vertrauensbeweis zugleich

Schulzes Steilvorlage

Der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz steht wegen israelkritischer Äußerungen vor der Knesset in der Kritik. Warum ein Satz "möglicherweise eine Fehlentscheidung" war, erklärt Bernhard Krane (Aktion Sühnezeichen).

Protestgebet (dpa)
Protestgebet / ( dpa )

domradio.de: Der in der Kritik stehende Satz ist, dass ein Palästinenser 17 Liter Wasser am Tag verbrauchen darf, ein Israeli aber 70 Liter. Schulz wird palästinensische Propaganda vorgeworfen, er selbst sagt, der Satz sei aus dem Kontext gerissen worden. Wie beurteilen Sie die Situation?

Bernhard Krane (Israel-Referent bei Aktion Sühnezeichen): Die Rede, die ich insgesamt sehr gut fand, ist in diesem Teil tatsächlich schwach, weil sie anfällig ist für solche Kritik. Es ist in gewissem Maße eine Steilvorlage über diese indirekte Kritik in Form einer Frage, das Thema umzulenken von den europäisch-israelischen Beziehungen weg zu einem innerisraelischen Thema, nämlich der Auseinandersetzung über die Zukunft der umstrittenen Gebiete. Ich finde ich es schade, dass dieser Satz so hereingenommen wurde. Es war, glaube ich, klar, dass das kontrovers wird und Emotionen schürt. Es wird dadurch einiges andere in der Rede jetzt weniger beachtet, was so wichtig gewesen wäre, dass man es auch hier hört in Deutschland.

domradio.de: Welchen Stellenwert hat es denn, wenn ein deutscher EU-Politiker vor der Knesset spricht - in deutscher Sprache?

Krane: Das hat einen sehr großen Stellenwert. Das ist auch das, was mich besonders gefreut hat, dass er sich selbst entschieden hat, nicht in Englisch zu sprechen, sondern in Deutsch. Das ist noch immer etwas Außergewöhnliches in Israel. Viele Israelis haben mit dem Hintergrund aus Mitteleuropa stammend Deutsch als Muttersprache und spüren eine Nähe, aber gleichzeitig ist Deutsch die Sprache der Nazis, der Nazipropaganda, die auch alte Wunde aufbrechen lässt. Deshalb ist es eine Zumutung und gleichzeitig ein Vertrauensbeweis, in so einer wichtigen Rede deutsch zu wählen. Dass das möglich war, ist ein gutes Zeichen für die Beziehungen.

domradio.de: Einige Abgeordnete haben ja während der Rede von Schulz den Saal verlassen, was zeigt das Ihrer Meinung nach?

Krane: Das zeigt erstmal die Debattenkultur des israelischen Parlaments. In der Form ist das nicht außergewöhnlich. Die Debatten in Israel sind viel emotionaler als bei uns und zum Teil auch in den Etiketten weniger höflich. Es zeigt an dieser Rede, dass es eine Minderheit gibt in der israelischen Knesset, die sich sehr emotional und auch sehr abwehrend verhält gegenüber vermeintlich berechtigter Kritik aus dem Ausland. Die Emotionen haben da die Debatte leider regiert. Es ist eine gewisse Gesprächsverweigerung, weil es wäre ja möglich, die gestellte Frage, schlicht und einfach zu beantworten.

domradio.de: Nun wird Schulz ja von den einen gelobt, Israel kritisiert zu haben, die anderen kritisieren ihn, als Deutscher dürfe man so nicht vor der Knesset auftreten. Was glauben Sie, was sollte man da für eine Haltung zu haben?

Krane: Ich glaube, dass die Beziehung zwischen Deutschland und Israel so eng sind und so über viele Jahre gewachsen sind, dass das Vertrauensverhältnis belastbar ist. Was nicht heißt, dass es ohne Emotionen abgeht und manchmal auch ohne Verärgerungen. Insofern ist es auch wieder ein Zeichen für gewachsene Beziehungen, auch kontroverse Themen anzusprechen. Ich glaube, dass dem Redner klar war, dass es ein brisantes Unterfangen ist und er hat seine Intervention ja auch in Frageform gekleidet. Ich glaube, er hat schon Gedanken darauf verwandt, wie kann ich das machen, dass das positiv wirkt und nicht zurückschlägt. Trotzdem hat dieser Fall gezeigt, dass auch das Gutgemeinte und in vermeintlich perfekt verpackter Form manchmal nach hinten losgeht. Nach hinten losgeht in dem Sinne, dass die Debatte ablenkt von den eigentlich wichtigen Inhalten, um die es da ging und letztlich jetzt ein innenpolitisches israelisches Thema, die Medien hier auch in Deutschland regiert. Das ist schade.

domradio.de: Was wollte Schulz denn mit seiner Frage tatsächlich ausdrücken?

Krane: Ich glaube, er wollte lavieren. Er wollte beides ausdrücken. Die Nähe zu Israel mit den gewachsenen Beziehungen war ja der Hauptpunkt seiner Rede. Die offizielle Distanzierung von Boykottbestrebungen gegen Israel wollte er, glaube ich, wappnen gegen den Vorwurf, das ist jetzt zu proisraelisch. Da ist es eine verständliche Versuchung zu sagen, jetzt nehme ich zwei-drei Sätze auf, die auch zeigen, ich bin nicht automatisch antipalästinensisch. Das sind diese Sätze, die zeigen Empathie und auch Anteilnahme und auch Wachsamkeit gegenüber der Situation in den palästinensischen Gebieten. Ich glaube, es war der Versuch diplomatisch zu sprechen und nicht zu einseitig zu sein und das war möglicherweise eine Fehlentscheidung. Es war schließlich eine Rede in der Knesset über europäisch-israelische Beziehungen und nicht eine Rede über den israelisch-palästinensischen Konflikt.

domradio.de: In der Grundaussage hat Martin Schulz die israelische Politik gelobt. Der arabische Frühling stelle eine große Herausforderung dar, die EU und Israel sind da aber auf einem guten Weg. - Warum bleibt denn nicht das, sondern ein Halbsatz über Palästina hängen?

Krane: Ich glaube, weil unsere Wahrnehmung hier aus der Ferne ist, dass das Zentrum der Debatten und das Zentrum der Diskussionen der Konflikt zwischen Israel und Palästina ist. Da wir sehr geprägt sind auf dieses Schema, ordnen wir alles, was wir hören, darin ein und nehmen vieles andere gar nicht wahr, was die Debatten und auch den Alltag dort in Israel oder in den palästinensischen Gebieten prägt. Es ist vielleicht eine Frage der mangelnden Wahrnehmung.

Das Interview führte Christian Schlegel


Quelle:
DR