Aktueller Konflikt ohne religiöse Dimension

Krieg unter Glaubensbrüdern

Der aktuelle Konflikt zwischen Osseten, Russen und Georgiern lässt sich nicht mit religiösen Stereotypen erklären. Alle drei Völker sind orthodox geprägt. Vor mehr als tausend Jahren kamen die ersten Missionare aus Byzanz über Georgien in die Berge von Ossetien. Über 1.000 Kilometer zieht sich der Kaukasus vom Schwarzen Meer bis zum Kaspischen Meer. In dieser Region ist eine Vielzahl unterschiedlicher Völker und Völkchen beheimatet. Einige von ihnen sind islamisch geprägt, andere haben christliche Traditionen. Zudem gibt es zahlreiche Juden in der Region.

Autor/in:
André Ballin
 (DR)

Während das Christentum in Georgien zum Symbol der nationalen Einheit auch unter islamischer Herrschaft wurde, war der christliche Glaube bei den Osseten vorerst nicht von langer Dauer.

Als die Reiterheere der Goldenen Horde im Mittelalter den Islam in den Kaukasus brachten, übernahmen ihn auch die Osseten nach dem Beispiel der meisten Nachbarvölker. Erst im 18. Jahrhundert kehrte das Christentum zusammen mit den Russen in den Kaukasus zurück. Moskau musste sich bei seinem Kampf um die strategisch wichtige Bergkette nicht nur gegen das Osmanische Reich durchsetzen, sondern vielfach auch den bewaffneten Widerstand der Bergbewohner brechen.

Besonders hartnäckig widersetzten sich Tschetschenen und Abchasen den Unterwerfungsversuchen Russlands. Beide islamischen Völker konnten erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in das russische Reich eingegliedert werden. Die Georgier hingegen traten freiwillig dem Zarenreich bei, schließlich bot Russland Georgien Schutz in Religionsfragen. Andererseits beschnitt Moskau die wesentlich ältere Schwesterkirche in Tiflis zahlreicher Autonomierechte. Erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannte das Moskauer Patriarchat die Autonomie der Georgischen Orthodoxen Kirche an.

Osseten als Stütze Russlands
Wichtigste Stütze Russlands im Ostteil des Kaukasus wurden die Osseten. Im Unterschied zu Dagestanern, Inguscheten und Tschetschenen übernahmen sie den russisch-orthodoxen Glauben. Freilich weist dieser Glaube auch seine Besonderheiten auf. Bis heute haben sich Reste einer uralten heidnischen Religion erhalten. Dankopfer sind in der Bevölkerung immer noch verbreitet.

So feiern die Osseten in der dritten Novemberwoche das Dschiorguyba-Fest zu Ehren von St. Georg, der in Ossetien Uastyrdschi heißt. Dabei ist Uastyrdschi zugleich der Name eines uralten heidnischen Berggottes. So ist es nicht verwunderlich, dass der Heilige Georg, der Legende nach als etwa 30-jähriger Mann den Märtyrertod gestorben, in Ossetien als weißhaariger Greis dargestellt wird.

St. Georg verbindet
Und doch ist St. Georg ein verbindendes Element. Denn der wichtigste Schutzheilige der Osseten ist zugleich auch Nationalheiliger und Namensgeber Georgiens. «Jahrhunderte lang haben beide Völker friedlich nebeneinander gelebt», erinnert Wsewolod Tschaplin, Sprecher der russisch-orthodoxen Kirche, an die gemeinsame Geschichte beider Völker. Sicher habe es auch Konflikte gegeben, räumt er ein, doch in der Regel sei die Beziehung freundschaftlich gewesen. «Hoffen wir, dass auch diesmal der Wille zum Frieden letztendlich bei allen überwiegt», meint Tschaplin.

An der Spitze der Georgischen Orthodoxen Kirche steht seit 1977 Patriarch Ilja II. Wegen ihrer kritischen Haltung zur Ökumene trat die Kirche, der rund vier Millionen Gläubige angehören, 1997 aus dem Weltkirchenrat aus.