DOMRADIO.DE: Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker beobachtet tiefgreifende Veränderungen im Karneval - und es sind keine positiven: "Der Karneval ist in den letzten Jahren - oder eher Jahrzehnten - zu etwas geworden, das eher einem allgemeinen Besäufnis entspricht, als dem, was unsere Karnevalskultur ausmacht", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Wie haben Sie den 11.11. erlebt? War es eine größere Schweinerei im Straßenkarneval als in vergangenen Jahren?
Willibert Pauels (Diakon und Karnevalslegende): Ich war nicht vor Ort, aber ich habe die Medienberichte dazu verfolgt. Und ich muss sagen: Natürlich hat die Kölner Oberbürgermeisterin Reker hundertprozentig Recht. Die Bläck Fööss haben sogar über diese Auswüchse und sinnlosen Besäufnisse zu solchen Ereignissen ein Lied geschrieben. Es heißt: "Ävver bitte, bitte mit Jeföhl."
Die, die sich so wegschießen und schon am Mittag als Alkoholleichen in den Gassen und Plätzen herumliegen, haben nichts begriffen. Es bleibt nicht nur beim Wildpinkeln. Ich will es jetzt nicht ausformulieren, aber das hat überhaupt nichts mit Karneval zu tun. Und das ist ein echtes Problem.
DOMRADIO.DE: Wie sollte denn eigentlich gefeiert werden? Was macht die Karnevalskultur in Köln aus, die Henriette Reker in ihrer Kritik meinte?
Pauels: Natürlich gehört der Rausch dazu. Der Karnevalsphilosoph und Jugendtherapeut Wolfgang Oelsner sagt immer: Wenn es Karneval nicht gäbe, müsste man ihn aus psychotherapeutischen Gründen einführen. Die Psyche des Menschen braucht abgesprochene Zeiten, wo man aus sich heraus gehen kann - in eine kleine Mini-Extase. Und dazu gehört Rausch. Es wäre Quatsch zu sagen: Nein, wir brauchen das nicht, wir können auch abstinent fröhlich sein. Wie die Toten Hosen schon singen: "Kein Alkohol ist auch keine Lösung". Epikur hat gesagt: "Genuss ist die kluge Zügelung maßloser Begierde". Das ist ein unglaublich guter Satz.
Das heißt: Die Begierde ist immer maßlos. Aber wenn ich es schaffe, diese klug zu zügeln, ist das ein wunderbarer Rausch. Wie man das macht? Martin Schopps, Karnevalbüttenredner und Lehrer, hat mal gesagt: Vielleicht müsste man in den Schulen eine AG zum Thema "Kluge Zügelung beim Betrinken" einführen. Es gibt ganz einfache Regeln: Schnaps zum Beispiel grundsätzlich weglassen. Oder: Nach jedem dritten Kölsch ein Wasser trinken. Dann klappt das und man gleitet nicht in das maßlose Betrinken ab - das ist nämlich furchtbar für alle.
DOMRADIO.DE: In ein paar Tagen ist es so weit - die jecken Tage stehen ganz kurz bevor. Es soll viel mehr Toiletten, Absperrungen und Maßnahmen gegen Müll geben. Alles, damit es in der Kölner Innenstadt nicht wieder so wird wie am 11.11. Wie schätzen Sie das ein, reicht das aus?
Pauels: Ich glaube, die Toilettenanzahl hat sich massiv erhöht, wenn ich richtig informiert bin. Das ist schonmal eine sehr gute Maßnahme. Auch die Kontrolle durch die Polizei ist gut. Wir haben das Gewaltmonopol beim Staat. Das heißt ja nicht, dass die mit einer Knarre herumlaufen sollen, sondern eher wie früher der gute "Schupo" als Autoritätsperson wirklich klare Kante zeigen. Nicht um den Obrigkeitsstaat heraushängen zu lassen, sondern zum Wohle aller, die daran teilnehmen.
Das hat nichts mit Polizeistaat zu tun, sondern um dem Ganzen eine Form zu geben. Und innerhalb dieser Form erfreuen wir uns an den heidnischen Genüssen - am Rausch, Spiel, Flirt und Tanz. Das gehört alles dazu, aber innerhalb des Rahmens. Und diesen Rahmen muss der Staat setzen.
DOMRADIO.DE: Gibt es einen Geheimtipp, wo man noch den "echten Kölschen Karneval" erleben kann?
Pauels: Ja klar - in den Veedeln! Nippes, Ehrenfeld und wie sie alle heißen. Und nicht zu den Hotspots am Neumarkt und Heumarkt, wo alle Busladungen ausgespuckt werden.
Das Interview führte Milena Furman.