DOMRADIO.DE: Wieso ist die "Alle-Kinder-Bibel" anders als andere Kinderbibeln?
Sarah Vecera (Koordinatorin Global Education mit Schwerpunkt "Rassismus und Kirche" bei der Vereinigten Evangelischen Mission): Wir haben versucht, mit dieser Kinderbibel darauf zu reagieren, dass über 40 Prozent aller Kinder in Deutschland Migrationsgeschichte haben. In den meisten Kinderbibeln kommen aber mehrheitlich weiße Menschen vor, die im historischen Kontext gesehen alle gar nicht so weiß waren, wie sie häufig illustriert werden.
Mit der "Alle-Kinder-Bibel" wollten wir auf die Vielfalt in unserer Gesellschaft reagieren und auch näher an der historischen Wahrheit der Bibel dranbleiben. Denn die meisten Menschen, die als Protagonistinnen und Protagonisten in der Bibel erwähnt werden, waren eigentlich nicht mitteleuropäisch und weiß.
DOMRADIO.DE: Wie sieht das in den Bildern dieser Kinderbibel aus?
Vecera: In den Bildern sieht das so aus, dass die dort illustrierten Menschen mehrheitlich Menschen "of colour" sind. Aber uns ist aufgefallen, dass das gar nicht der einzige Aspekt ist, den wir in einer vielfaltssensiblen Kinderbibel noch mit hineinnehmen wollen.
Denn wir haben beim Blick in andere Kinderbibeln schnell gemerkt, dass wir auch hinsichtlich Antisemitismus, Diversität, Geschlechtlichkeit, Sexismus und auch Ableismus, also Behindertenfeindlichkeit, sensibel illustrieren und auch in Worten sensibel darauf reagieren wollen. Das haben wir mit dem Projekt "Alle-Kinder-Bibel" versucht umzusetzen.
DOMRADIO.DE: Frauen und Männer hatten damals andere Rollen als heute. Insofern sind die wahrscheinlich nicht eins zu eins übertragen worden oder?
Vecera: Doch. Wir haben schon versucht, historisch nah an den biblischen Texten dran zu sein. Wir haben die Geschichten nicht neu erfunden und was hinzugedichtet. Wir haben sie nur aus einer, würde ich sagen, queerfeministisch, rassismuskritischen Perspektive beleuchtet.
Dann ergeben sich eben Geschichten, die diskriminierungssensibel erzählt werden können, die aber dennoch nah am biblischen Text sind.
DOMRADIO.DE: Woher kam die Idee dazu?
Vecera: Die Idee ist eigentlich am Bett meiner Tochter entstanden. Als sie drei oder vier Jahre alt war, hatte ich sie gefragt, wie sie sich Gott vorstellt. Sie hat gesagt, sie stellt sich Gott als alten, weißen Mann mit langem Bart vor. Ich glaube, das ist das Bild, wie sich vieler Kinder Gott vorstellen. Das liegt auch sehr nah. Die Sprache in der Kirche ist sehr männlich.
Wenn wir über Gott und die Repräsentationsfiguren innerhalb der Kirche sprechen, dann sind die mehrheitlich weiß und vom Phänotyp her mitteleuropäisch. Daher liegt es sehr nahe, dass sich Kinder Gott auch so vorstellen.
Genau daraus ergab sich dann die Idee, dass es eigentlich ein Gegenmodell braucht, dass es neue Illustrationen, neue Repräsentationen braucht, gerade in einer vielfältigen Gesellschaft. Das habe ich im Kollegium erzählt und viele Kolleg:innen waren gleich ganz begeistert mit dabei.
So ist unter Leitung der Vereinten Evangelischen Mission dieses Projekt entstanden. Die Kinderbuchautorin Andrea Karimé und die Illustratorin Anna Lisicki-Hehn, beide aus Köln, sind dann zu unserer Koordinationsgruppe mit ins Boot gekommen. Sie haben die Ideen, die wir hatten, in Wort und Bild umgesetzt.
DOMRADIO.DE: Wie zeigt sich die Vielfalt in der Sprache?
Vecera: In der Sprache zeigt sich das zum Beispiel dadurch, dass Mehrsprachigkeit ein Thema ist. Wir leben in einer mehrkulturellen Gesellschaft und in einer mehrsprachigen Gesellschaft. Es gibt einzelne Worte in unterschiedlichen Sprachen, die illustriert sind, in Romanes, Polnisch, Arabisch und noch in weiteren Sprachen.
Hinten im Buch ist auch die Bedeutung der Worte dieser Sprachen nachzulesen. Die Worte sind in den Illustrationen mit eingeflossen. Die Idee kam von Andrea Karimé, die auch viel im mehrsprachigen Kontext unterwegs ist.
Gleichzeitig haben wir Gott kein männliches Pronomen gegeben, sondern haben versucht, Gott in den Texten vor allem nicht-binär, also weder männlich noch weiblich darzustellen. Das sind zwei der Aspekte.
Das Interview führte Dagmar Peters.