KNA: Vor 225 Jahren wurde Vinzenz Pallotti geboren. Soweit man das heute sagen kann - was war er für ein Mensch?
Pater Michael Pfenning (Vizeprovinzial der Deutsch-Österreichischen Provinz der Pallottiner): Mich beeindruckt an ihm, wie ein Mensch sich entwickeln kann, wenn er lernt, Gott zuzulassen. Als junger Priester plagten Pallotti furchtbare Ängste. Sogar Verdammungsängste waren ihm nicht fremd. Doch auf dem Sterbebett war er ganz im Frieden und ruhte im Vertrauen. Dazwischen ist Gewaltiges passiert. Es war ihm gegeben, dass er in allem, was ihm begegnete, Spuren der Liebe Gottes entdecken konnte. Seine persönliche Verwandlung ist ein Zeugnis für die Weite und Liebe Gottes.
KNA: Heute wirken rund 2.500 Pallottiner in 300 Kommunitäten auf allen Kontinenten. Inwieweit ist er auch heute noch Vorbild für Sie und die Pallottiner?
Pfenning: Von Gott im Innersten angerührt und befreit, wollte er seine ganz persönliche Antwort geben. Er hatte kein Programm, sondern war bereit, immer das aufzugreifen, was Gott ihm in den Weg stellte. Er forderte schon früh seine Gefährten auf, für die Menschen da zu sein, die heute eine praktische Hilfe, eine Begleitung brauchen. Und ganz wesentlich: Pallotti war geradezu ein Erfinder des vernetzten Wirkens: Miteinander, in gleicher Würde und gemeinsamer Verantwortung Kirche und Welt zu gestalten - darin ist Pallotti weiterhin Vorbild und daraus ergibt sich unser Auftrag.
KNA: Was kennzeichnet die Spiritualität von Vinzenz Pallotti?
Pfenning: Ihn faszinierte die Vorstellung, dass Gott sich ganz in seine Menschen verströmen möchte. Mit seiner ganzen Lebendigkeit, Güte, Liebe und Barmherzigkeit. Dies wurde für ihn immer mehr zur umwerfenden, ihn verwandelnden Erfahrung. Er war berührt, welche Würde uns geschenkt ist, weil wir Ebenbilder Gottes sind. Weiter entdeckte er in der Schöpfung und in unserer Welt deutliche Spuren der Gegenwart Gottes. Gott fand er in seinem eigenen Inneren und in allem, was ihm begegnete. Man könnte hier provokant von einer säkularen Spiritualität sprechen.
KNA: Wie leben Sie diese Spiritualität heute, was kann Vinzenz Pallotti den Menschen heute noch sagen?
Pfenning: Es geht darum, Menschen zu begleiten und ihnen zu helfen, dass sie ihre Würde und Einmaligkeit spüren und annehmen können. Unser Lebensauftrag kommt von innen. Aus der tiefen Erfahrung, geliebt und von Gott dynamisiert zu sein. Meine Sendung kommt aus der inneren Erfahrung mit Gott. Kein "Du musst, du sollst, du darfst nicht"... Keine moralische Schiene, die einseitig meinen Willen anspricht und oft in die Traurigkeit führt. Gott ist die dynamisierende Quellkraft in uns, aus dieser Quelle finden Menschen den dem Leben wirklich dienenden Auftrag und Weg.
KNA: Wo setzen die Pallottiner Schwerpunkte ihrer Arbeit, in Deutschland, aber auch auf anderen Kontinenten?
Pfenning: Sehr unterschiedlich. Je nach dem, was in einem Land erforderlich ist und den Menschen und der Kirche dienen kann. In Deutschland spielt zunehmend die Begleitung von Menschen in verschiedenen Lebensprozessen eine Rolle. Es entstehen kleinere Zentren, etwa ein Haus des Gebetes und der Seelsorge in Konstanz. In Meran wird ein neues Konzept der Begleitung erprobt. Und am Wallfahrtsort Kohlhagen entsteht in Kooperation mit dem Erzbistum Paderborn ein neuer Ort der spirituellen Begleitung. Natürlich versuchen die Pallottiner auch an den vielen anderen Standorten in der Provinz, mit ihren Mitteln und Möglichkeiten Menschen zu begleiten und Räume für ihre persönliche Gottes- und Lebenssuche zu ermöglichen.
KNA: Auch wenn der Orden vor über 125 Jahren gegründet wurde - wie gut gewappnet ist er für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wie zunehmende Säkularisierung, aber auch Klimawandel und aktuell die Corona-Pandemie...?
Pfenning: Pallottinische Spiritualität definiert sich über Integration und niemals über Abgrenzung. Es ist so wichtig, dass wir in allem in dieser Welt die Spuren Gottes entdecken. Alle Menschen sind Abbilder des "Ewigen Vaters", wie es Pallotti formulierte. Alle Menschen sind gemeinsam berufen, ihre Würde zu begreifen und diese "gottvolle" Welt gemeinsam zu schützen und gerecht zu gestalten. Das Verbindende ist unsere gottgegebene Würde. Der Glaube an die Gottebenbildlichkeit aller - Christen, Muslimen, Juden, ... - begründet den gemeinsamen Auftrag, unsere von Gott gegebene Schöpfung vernetzt, gemeinsam und respektvoll zu bewahren.
Dieser zentrale Aspekt pallottinischer Spiritualität ist für mich höchst aktuell: Öffnet Türen zum interreligiösen Dialog. In unseren Tagen, in denen wieder vermehrt Stimmen nach Abgrenzung und Abschottung der Völker und Länder zu hören sind, brauchen wir eine andere Vision. Die Corona-Krise sollte uns dafür sensibilisieren, unsere gemeinsame Welt als "Gottes Schöpfung" neu zu erkennen und zukünftig gemeinsam, vernetzt und achtsam sich allem Leben gegenüber zu verhalten.
KNA: Eine persönliche Frage zum Schluss: Warum haben Sie persönlich sich ausgerechnet für die Pallottiner entschieden? Was reizt Sie an dieser Ordensgemeinschaft?
Pfenning: Ich wollte nie in ein Kloster. In Klausur leben konnte ich mir nie vorstellen, auch nicht jeden Tag schon um 5.30 Uhr im Chorgestühl zu stehen. Weltpriester zu werden konnte ich mir genauso wenig vorstellen. Wichtig war mir, weiterhin frei denken zu können und nie meine Überzeugung verbergen zu müssen.
Nach 40 Jahren bin ich überzeugt, es gab für mich nur diesen Weg. Trotz aller menschlichen Unzulänglichkeiten, die ich hier antreffe und einbringe, wurde ich von Gott in diese Gemeinschaft geführt und bin dankbar dafür. Ich finde hier eine gute menschliche und spirituelle Anbindung und ausreichend Freiheit, mich zu entwickeln. Jede unserer Kommunitäten entwickelt ihr Gemeinschaftsleben je nach Anforderungen der Seelsorge und den Möglichkeiten der Mitbrüder. Dennoch ist das gemeinsame Band stark genug, uns zusammen zu halten. Ja, es gibt den gemeinsamen pallottinischen "Stallgeruch".
Das Interview führte Angelika Prauß.