Eigentlich hätte Ernesto Cardenal am Samstag beerdigt werden sollen. Doch nach den Übergriffen durch regierungsnahe sandinistische Anhänger beim Gedenkgottesdienst am Mittwoch in der Kathedrale von Managua entschieden sich Cardenals Freunde, Anhänger und Mitstreiter, die Zeremonie vorzuziehen. In aller Stille, ohne das Gebrüll und das Geschubse der Anhänger der linksgerichteten Regierung des Präsidentenpaares Daniel Ortega und Rosario Murillo, die als Drahtzieher für die Übergriffe beim Trauergottesdienst gelten. Dabei waren Journalisten attackiert und Cardenal-Anhänger beleidigt und bedrängt worden.
Freunde und Angehörige Cardenals hatten dann für Freitag zur Beerdigung eingeladen - fünf Tage nach dem Tod des Befreiungstheologen, Revolutionärs, Priesters, Politikers, Schriftstellers und Marxisten, der am Sonntag (1. März) im Alter von 95 Jahren in Managua gestorben war. Die von Cardenal gegründete Gemeinschaft von Solentiname wollte unter sich bleiben, damit nicht erneut Bilder für den Machtapparat und die Medien der Sandinisten produziert werden konnten wie zuvor beim gekaperten Trauergottesdienst. Ein Augenzeuge berichtete dem regierungskritischen Portal "Confidencial", die Zeremonie sei einfach, diskret und intim gewesen.
Geheime Beisetzung
"Wir haben das geheim gemacht, um Übergriffe zu vermeiden", sagte Bosco Centeno, Mitglied der Gemeinde von Solentiname. "Wir haben uns entschieden, ihn dort beizusetzen, wo die Helden und Märtyrer von Solentiname beerdigt sind." Dort, wo die Ex-Guerilleros Laureano Mairena, Elvis Chavarria, Alejandro Guevara und andere Mitglieder der Gemeinde beigesetzt sind, die Cardenal in den 1960er Jahren gründete. Nach der Zeremonie seien zahlreiche Anhänger, Freunde und Journalisten gekommen, um sich von ihm zu verabschieden, berichtet "Confidencial" weiter.
Im Jahr 1966 gründete der Nonkonformist, der auch mit über 90 im deutschen Winter mit offenen Sandalen über Eis und Schnee lief, auf der Insel Solentiname im Nicaragua-See eine an radikal-urchristlichen Idealen orientierte Gemeinschaft. Es entstand sein vielleicht wichtigstes Buch, das "Evangelium der Bauern von Solentiname", in dem der Priester vom Bemühen der Menschen erzählte, ihr Leben im Licht der Botschaft Jesu zu deuten.
Vorfälle bei der Trauerfeier
Unterdessen verurteilten zahlreiche lateinamerikanische Schriftsteller die Vorfälle bei der Trauerfeier in Managua unter der Woche. Raul Zurita Canessa, Träger des Iberoamerikanischen Poesie-Preises 2016, kritisierte mit derben Flüchen auf Twitter das Ortega-Regime, dem er Feigheit vorwarf. Die nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli antworte ihm: "Danke für deine notwendigen Worte, Raul. Es ist eine weltweite Schande, was diese respektlose Diktatur bei der Trauerfeier gemacht hat."
Von seinem einstigen politischen Weggefährten, Nicaraguas Präsident Ortega, hatte sich der Dichter schon lange losgesagt. Ortega sei ein "kleiner, mieser Diktator", sagte der Poet unverblümt. Bis zuletzt hingegen hielt der Mann mit der Baskenmütze Christentum und Marxismus für miteinander vereinbar und prognostizierte entgegen allen Trends ein "Jahrhundert eines marxistischen Christentums". Die wichtigste Entscheidung seines Lebens sei, dass er sich Gott verschrieben habe "und damit auch dem Volk und der Revolution", so Cardenal.
Nicaragua erlebt seit April 2018 eine Krise mit landesweiten Protesten gegen die Regierung von Ortega. Seit Beginn kamen rund 350 Menschen ums Leben, Tausende wurden verletzt. Nicaraguas Kirche kritisierte immer wieder in scharfer Form die Menschenrechtsverletzungen der Regierung. Nun hat das mittelamerikanische Land eine ihrer prägendsten Figuren verloren. Dass Cardenal offenbar noch im Tod vor Propaganda geschützt werden musste, dokumentiert einmal mehr die Situation in Nicaragua.