Alois Glück über die Energiewende ein Jahr nach Fukushima

"Nicht mehr rückholbar"

Am Sonntag jährt sich das Atomunglück im japanischen Fukushima zum ersten Mal - und in der Folge auch der Entschluss der Bundesregierung, aus der Kernenergie auszusteigen. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, war Mitglied in der von Bundeskanzlerin Merkel damals einberufenen Ethik-Kommission "Sichere Energieversorgung". Im Interview erklärt Glück, warum es bei der Energiewende kein Zurück geben könne.

 (DR)

KNA: Herr Glück, ein Jahr nach dem Reaktorunfall in Fukushima: Hat sich das Bewusstsein in der Bevölkerung gewandelt?

Glück: Es gibt zweifellos eine hohe Sensibilität: einmal für die Gefahren der Kernenergie, zum anderen auch für notwendige Veränderungen. Trotzdem besteht die Gefahr, dass die Bilder von Fukushima verblassen. Und deswegen wird die Angst vor der Kernenergie allein nicht ausreichen, um die Energiewende herbeizuführen. Es kommt entscheidend darauf an, positive tragfähige Leitbilder zu entwickeln.



KNA: Macht die aktuelle Wirtschaftskrise dem nicht einen Strich durch die Rechnung?

Glück: Ich denke, dass wir in Deutschland den Atomausstieg realisieren. Das ist auch politisch nicht mehr rückholbar. Die Energiewirtschaft erfordert hohe Investitionen mit langfristiger Kapitalbildung. Wenn die ganze Diskussion wieder neu aufgerollt wird, dann finden diese Investitionen nicht statt, weil man nicht sicher sein kann, dass nach der nächsten Bundestagswahl auch noch alles hält. Insofern schweißt dieser Zwang die Politik zusammen. Zugleich zeigt sich, dass es noch sehr viel an Führung, an Koordination bedarf, damit die verschiedenen Kräfte mit gleicher Geschwindigkeit in dieselbe Richtung marschieren.



KNA: Was heißt das?

Glück: Es gibt einen unglaublichen Schub an Innovation, an Forschung und Entwicklung. Wir haben außerdem ganz starke Entwicklungen vor Ort, lokale Initiativen. In weiten Bereichen Deutschlands hat sich die Kommunalpolitik das Thema zu eigen gemacht. Auf der anderen Seiten fehlt es aber an der entsprechenden Koordination der verschiedenen Ebenen. Es kann nicht nur lokale Lösungen geben. Die politische Führung steht vor der riesigen Herausforderung, dieses komplexe Thema wirklich gut zu managen.



KNA: Hat die Bundesregierung mit der Kürzung bei den Subventionen für Solarstrom nicht ein kapitales Eigentor geschossen?

Glück: Bei der Solarenergie hätte man schon vor längerer Zeit steuernd eingreifen müssen - und das hat man immer wieder verdrängt. Nur ein Beispiel: Die Chinesen haben ihre Unternehmen der Solarbranche unglaublich subventioniert, um beispielsweise nach Deutschland exportieren zu können. Die Folge war ein nie für möglich gehaltener Ausbau an Solaranlagen. Dem sind aktuell aber die Leitungsnetze nicht gewachsen. Die müssen wir möglichst rasch aus- und umbauen. Das muss jetzt höchste Priorität haben.



KNA: Aber war der Zeitpunkt für diese Entscheidung nicht doch reichlich ungünstig gewählt?

Glück: Das ist momentan sicher ein heikler Punkt. Die Reduzierung der Förderung bringt die Gefahr mit sich, dass Unternehmen in Schwierigkeiten geraten und in der Wirtschaft Unsicherheit entstehen: Welche Planungssicherheit haben wir denn, wenn Politik so kurzfristig entscheidet?



KNA: Was können die Kirchen zur Energiewende beitragen?

Glück: Letztlich geht es ja um die Zukunft der Schöpfung auch in diesem Bereich. Mithelfen, nicht Mit-Moralisieren heißt die Devise. Etwa mit entsprechender Bildungsarbeit in Richtung eines bewussteren Lebensstils, der auf einen schonenden Umgang mit Ressourcen setzt. Hier haben die Kirchen eine ganz wichtige Aufgabe.



Das Interview führte Joachim Heinz.