Zwei Bauarbeiter, ein noch ungedeckter Dachstuhl mit einem wehenden Richtkranz, im Hintergrund geht die Sonne auf - dieses Motiv zierte vor 75 Jahren die erste Briefmarke der Bundesrepublik. Die Symbolik im Herbst 1949 konnte deutlicher nicht sein: Das Haus Deutschland steht stabil, nur ein wenig muss noch fertig gestellt werden - im Licht eines neuen Anfangs. Richtfest 7. September 1949, der Tag, an dem nicht nur die ersten Briefmarken erscheinen, sondern sich auch der frisch gewählte Bundestag sowie der Bundesrat zur ersten Sitzung treffen.
Nicht nur der Staat Deutschland musste nach der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg grundlegend neu aufgebaut werden, indem eine neue Verfassung erarbeitet wurde. Baubedarf gab es auch ganz konkret: Abgeordnete mussten zusammen kommen können, Bundeskanzler und Staatsoberhaupt brauchten Dienstsitze. Alle baulichen Entscheidungen warfen Fragen nach dem staatlichen Selbstverständnis auf; danach, wie Deutschland sich selbst damals sah und wie es gesehen werden wollte. "Architektur ist ein Spiegel der Verhältnisse", sagte der bekannte Architekt Günter Behnisch einmal.
Architektonische Brüche
Viele Dinge waren in den frühen Jahren der Bundesrepublik noch nicht klar; das Land war auf vielen Ebenen im Findungsprozess. Eindeutig allerdings war: der Bruch mit dem Nationalsozialismus und das Bekenntnis zu einem demokratischen Staat.
Ein bauliches Beispiel für den Neubeginn ist das Bonner Bundeshaus, jahrzehntelang der Sitz des Parlaments und des Bundesrats. Ein im Krieg nicht zerstörtes Gebäude aus den frühen dreißiger Jahren in Rheinnähe wurde ausgewählt. Die Formensprache, angelehnt an den Stil des Bauhauses, war modern und lag dem einschüchternden Baustil repräsentativer NS-Bauten fern.
Noch bevor entschieden war, dass die Verfassungsorgane in Bonn ansässig werden, beauftragte die nordrhein-westfälische
Landesregierung den Architekten Hans Schwippert, das Gebäude durch einen Plenarsaal, zwei Bürobauten und ein Restaurant zu erweitern. Nur vier Monate dauerten Planung und Umbau. Die Herangehensweise war wenig demokratisch, das optische Ergebnis überzeugte umso mehr.
"Politik ist eine dunkle Sache"
Einfache Materialien, schlichte Konstruktionen, Stahl und viel Glas. Sparsam sollte der Bau sein; es fehlte an finanziellen Mitteln.
Außerdem sollte der kriegsgebeutelten Bevölkerung deutlich gemacht werden, dass die junge Demokratie kein Geld verschwendet. Schwippert sagte später, er habe ein helles, einfaches Haus bauen wollen, "das zur Welt hin offen ist". Große Fenster zum Plenarsaal symbolisierten Transparenz und ermöglichten auch tatsächliche Einblicke. So verfolgten Zuschauer von außen die eine oder andere Parlamentssitzung. "Politik ist eine dunkle Sache, sehen wir zu, daß wir ein wenig Licht hineinbekommen", so erklärte Schwippert den hellen Saal.
Bei den baulichen Anfängen der jungen Bundesrepublik spielte außerdem eine wichtige Rolle, dass Bonn nur als provisorischer Regierungssitz gedacht war. Berlin sollte früher oder später erneut Hauptstadt werden - sobald die politischen Umstände dies wieder zulassen würden. Auch symbolisch musste dies in Bonn deutlich werden. Weder für den Parlamentssitz noch für die Amtssitze des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers wurden also neue Gebäude errichtet.
Bestehendes wurde umgebaut und so das "Provisorium Bonn" signalisiert. Bescheidenheit war zudem eine wichtige Botschaft ans Ausland. Schließlich hatte Deutschland den Zweiten Weltkrieg verschuldet und verloren. Ihm war daran gelegen, keine Signale zu senden, die darauf hinweisen könnten, dass es das Ziel habe, schnell wieder zu einem mächtigen Staat in Europa zu werden.
Kanzler und Präsident als Nachbarn
Der Bundeskanzler und der Bundespräsident bezogen daher zwei Villen in direkter Nachbarschaft und am Rhein. Zum Amtssitz des Bundespräsidenten wurde die Villa Hammerschmidt, ein weißes, herrschaftliches Gebäude mit zwei Türmen. 1860 wurde sie für einen Kaufmann gebaut, später gehörte sie zwei Unternehmern. Dem ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss war diese Industriellenvilla zu protzig. Er ordnete an, die Türme abzubauen und das Innere der Villa "vom Zuckerguss" zu befreien.
Dienstsitz des Bundeskanzlers wurde das wenige hundert Meter entfernt liegende Palais Schaumburg. Gebaut von einem Fabrikanten, wurde es später von Adeligen bewohnt. Im Krieg waren darin Dienststellen des Heeres untergebracht, nach Kriegsende nutzten verschiedene Besatzungsmächte das Gelände. Der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer wollte mit dem eigenen Dienstsitz nicht als zu großmächtig, aber von den Besatzungsmächten als eigenständig wahrgenommen werden.
Mit dem Umbau der Villa wurde ebenfalls Hans Schwippert beauftragt. Er und Adenauer gerieten in Briefwechseln jedoch aneinander, da der Architekt etwas mehr Helligkeit und Moderne in die alten Gemäuer bringen wollte als der Hausherr. Adenauer bezog das wenig renovierte Gebäude schließlich Ende 1949. Trotz kleiner Dienstwohnung hat er dort nie übernachtet. Ihn zog es immer in sein Haus mit seinem geliebten Rosengarten im nur wenige Kilometer entfernten Rhöndorf.