Die Yachten vieler reicher Bonvivants ankern täglich in der malerischen Bucht von Amalfi. Doch wie viele dieser einförmigen Kreuzfahrer der Urlaubsgewässer ahnen wohl, dass sie im Hafen der einstigen Supermacht des Mittelmeers angelandet sind? Amalfis Blüte war kurz. Zwischen etwa 950 und 1073 war es die erste der vier italischen Seerepubliken, die die byzantinische Herrschaft abschüttelte mit überlegener Flotte, kluger Diplomatie und weit verzweigten Handelsbeziehungen bis nach Byzanz, in den Orient und die Levante.
Bis zu 50.000 Menschen gehörten dem stolzen Seestaat an, als der arabische Chronist Abul el Hawqual um 977 Amalfi als die reichste Stadt Süditaliens verzeichnete: von Capri im äußersten Westen über Positano, Atrani und Ravello bis Cetara im Osten. In den byzantinischen und arabischen Häfen des Mittelmeers besaß Amalfi Banken und Handelshäuser für Gewürze und Seide, Tuch und Teppiche, Waffen, Gold- und Silberwaren; dazu Festungen und Gemeinden in Byzanz, Antiochien, Zypern und Tripolis, Jaffa, Jerusalem und Alexandrien.
Doch schon Mitte des elften Jahrhunderts sank Amalfis Stern. Andere Seerepubliken nahmen ihren Platz ein: Pisa, Genua, schließlich Venedig. An den Glanz und den historischen Wettstreit der vier italischen Seemächte erinnert seit dem Zweiten Weltkrieg, jeweils am dritten Sonntag im Juni, eine farbenprächtige Regatta. Alle vier Jahre hat Amalfi Heimrecht für das Spektakel, wenn die je acht Ruderer und ihr Anhang in historischen Kostümen und Booten den prestigeträchtigen Sieg davontragen wollen.
Apostel Andreas im Dom beigesetzt
Auch lange nach seinem Abstieg aus der Erstklassigkeit blieb Amalfi mit seinen heute rund 5.000 Einwohnern eine stolze und einstweilen auch wohlhabende Stadt. Dafür sorgte unter anderem ein unrühmlicher Diebstahl: Vom verhängnisvollen Vierten Kreuzzug, dem 1203/04 das christliche Konstantinopel zum Opfer fiel, brachte Kardinal Petrus von Capua die Gebeine des heiligen Andreas als Beute mit; um ihn vor den Muslimen in Sicherheit zu bringen, so die offizielle Begründung. Der Apostel und ältere Bruder des Petrus wurde 1208 im Dom von Amalfi neu beigesetzt. Ähnlich wie im Markusdom von Venedig ist auch hier die Geschichte der Stadt wie in Stein gehauen ablesbar.
Gegründet um 840, wurde die in den Hang gebaute Basilika nach dem raschen politischen und wirtschaftlichen Aufstieg Amalfis im zehnten Jahrhundert um vier weitere Kirchenschiffe erweitert; später wurden arabisch-normannische Elemente hinzugefügt. Eine standesgemäße und moderne Unterkunft für den Apostel, der in der 1253 erbauten Krypta zu liegen kam. Dort schwitzen die Knochen des Heiligen alljährlich am 29. November eine ölige, angeblich wundertätige Flüssigkeit aus, im Volksmund "Manna des heiligen Andreas" genannt.
Amalfi gedenkt der Rettung
Der Dom Sant'Andrea ist Ausgangs- und Schlusspunkt für ein Brauchtumsspektakel besonderer Art. Auch wenn die Überführung der Reliquien für den 9. Mai, das Mannawunder auf den 29. November und der Festtag des Heiligen im Kirchenjahr auf den 30. November festgelegt sind, feiern die Amalfitaner "ihren" Andreas am 27. Juni. Denn an diesem Tag im Jahr 1544 soll er es gewesen sein, der die Stadt mit Hilfe des Evangelisten Matthäus aus den Fängen des Freibeuters Kairud-Din, auch Ariadeno Barbarossa genannt, befreit haben soll. Mit Festkomitee, Blaskapellen und einem pompösen Umzug gedenkt Amalfi bis heute dieser wundersamen Rettung.
Am frühen Abend, nach dem Festgottesdienst, beginnt der Aufmarsch: Rotbemäntelte Träger mit einem Baldachin, der Erzbischof von Amalfi im violetten Ornat, Carabinieri, Matrosen und allerlei Honoratioren erscheinen oben auf der großen Freitreppe der Kathedrale. Zum Schluss kommt auch der Heilige selbst. Unter Jubel, Böllerschüssen und heftigem Glockengeläut wuchtet ein gutes Dutzend erprobter Männer die 800 Kilo schwere Silberbüste 62 Stufen hinab.
Der Heilige wird den Matrosen übergeben
Fast eineinhalb Stunden dauert der Zug, dann biegt der angestrahlte Andreas unter Pauken und Trompeten auf die bunt beleuchtete Uferpromenade ein. Vom Strand sieht er fast wie ein Papamobil aus, das an den Köpfen der Schaulustigen vorbeizufahren scheint. Am Ortsrand macht die Prozession kehrt, immer von Böllern und frommem Gejohl begleitet, und wendet sich dem Strand zu. Zwei Dutzend Boote haben sich nahe dem Ufer versammelt, um endlich den Segen des Heiligen zu erhalten.
Schließlich ist es vollbracht: Alle Glocken der Stadt beiern, die Schiffe tuten wild und ziehen ab. Auch für die Ströme von Touristen ist die Sache jetzt erledigt; für die einheimischen Pilger allerdings noch nicht. Noch am Strand wird der fast tonnenschwere Heilige, eine Silberschmiedearbeit aus dem 16. Jahrhundert, den Matrosen übergeben, die ihn in den Dom zurücktragen. Um kurz vor zehn spricht der Bischof auf der Treppe vor dem Dom den Segen; von da an gibt die Blaskapelle den Ton an. Zum Abschluss beginnt draußen auf dem Meer ein großes Feuerwerk, das entlang der amalfitanischen Küste widerhallt. Die schmale Uferstraße nach Sorrent und Salerno wird heute noch länger als sonst verstopft sein.