Anfänge und Gegenwart der Gemeinschaft Sant'Egidio

Von Schülern zu Friedensmittlern

Es war eine Gruppe von römischen Schülern um Andrea Riccardi, die vor 50 Jahren den Impuls zur Gründung der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio gab. Wie sahen die Anfänge aus und wie hat sich die Arbeit seitdem verändert?

Ökumenisches Friedensgebet zum Abschluss des Weltfriedenstreffens der Gemeinschaft Sant'Egidio / © Harald Oppitz (KNA)
Ökumenisches Friedensgebet zum Abschluss des Weltfriedenstreffens der Gemeinschaft Sant'Egidio / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Andrea Riccardi war der Haupt-Gründer von Sant'Egidio. Vor 50 Jahren war er selber noch Schüler. Warum war es damals nötig, die Gemeinschaft auf den Weg zu bringen?

Susanne Bühl (Öffentlichkeitsarbeit für Sant'Egidio Deutschland): Die Zeit von 1968 war eine Zeit der Unruhen oder der Erneuerung. Es war in der Kirche die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Es war die Zeit der Studentenunruhen. Man hat sich viel gefragt, was man in der Welt verändern muss - in der Kirche wie auch in der Gesellschaft.

Andrea Riccardi war ein sehr offener Geist. Er hat mit seinen Freunden damals im Evangelium gelesen und sie haben sich überlegt, wie man das Evangelium in ihrer Stadt umsetzen könnte. Sie sind dann auf das Problem der Armut in Rom gestoßen, was damals große Ausmaße hatte - fast vergleichbar mit der Armut in der Dritten Welt. Sie haben sich aber auch - was ich sehr wichtig finde - gefragt, wo man mit der Veränderung ansetzen müsste. Veränderung beginnt bei uns selbst.

Nachdem sie im Evangelium gelesen haben, war ihnen wichtig zu sehen, was sie bei sich selbst ändern müssen, um  für die Begegnung mit den Armen offen zu sein und um, wie Jesus auch, auf die Armen zuzugehen und in ihrem Leben etwas durch ihre Freundschaft zu verändern. Das war der Beginn, der Geist des Anfangs dieser Gruppe von Schülern.

DOMRADIO.DE: Heute setzt sich Ihre Gemeinschaft stark für den ökumenischen und interreligiösen Dialog ein. Jedes Jahr rufen Sie alle Weltreligionen zu einem gemeinsamen Friedensgebet auf. Wann wird das nicht mehr nötig sein?

Bühl: Wenn man die Welt von heute betrachtet, muss man leider sagen, dass Kriege und Konflikte nicht weniger werden. Das internationale Friedenstreffen ist entstanden, nachdem damals Papst Johannes Paul II. im Jahr 1986 nach Assisi eingeladen hat. Seitdem lädt die Gemeinschaft jährlich Religionsvertreter und Vertreter aus Politik und Gesellschaft zu Friedenstreffen ein. Wir waren im September des vergangenen Jahres in Deutschland, in Münster und Osnabrück.

Die Zeiten haben sich sicher gewandelt seit 1986. Es gibt den Kalten Krieg nicht mehr, aber die Kriege sind auch internationaler und komplizierter geworden. Es genügt ja, Nachrichten zu sehen und zu höre, um das zu wissen. Wir werden weiter für den Frieden arbeiten und beten. Ich denke, das ist bitternötig.

DOMRADIO.DE: Was sich auch sehr geändert hat, ist die Flüchtlingslage. Humanitäre Korridore sind eine zentrale Forderung Ihrer Gemeinschaft. Europäische Staaten lassen mit Hilfe von humanitären Visa ein bestimmtes Kontingent von Menschen legal einreisen. In Italien wird das gerade getestet. Aber soll das ein Modell für ganz Europa sein?

Bühl: Wir schlagen es ganz Europa als Möglichkeit vor, legal Flüchtlinge einreisen zu lassen, um sie vor diesen schrecklichen Todesrouten zu schützen und da eine Alternative aufzuzeigen. Das Modellprojekt funktioniert jetzt in Italien, aber auch in Frankreich und Belgien.

Es werden derzeit im Libanon und auch in Äthiopien Flüchtlinge, die sich dort befinden, für das Projekt ausgewählt. Wir finanzieren in Zusammenarbeit mit den Kirchen - es ist auch ein ökumenisches Projekt - die sichere Einreise nach Europa und dann für eine gewisse Zeit auch Unterbringung und Integration. Wir helfen auch als Kirchen, als Zivilgesellschaft den Leuten, die ankommen, dass sie sich vom ersten Tag an integrieren können. Wir wollen damit ein alternatives Modell aufzeigen, was zukunftsweisend sein kann.

DOMRADIO.DE: Ein Vorbild von Sant'Egidio ist unter anderem Franz von Assisi. Nach dem hat sich auch Papst Franziskus benannt. Und bei seiner Wahl vor fünf Jahren hat er gesagt, dass er eine "arme Kirche für die Armen" anstrebe. Hat er das erreicht?

Bühl: Ich denke, dass Papst Franziskus ständig sehr viele Impulse gibt. Wir haben uns sehr gefreut, als er damals diesen Ausspruch geprägt hat. Wir fühlen uns damit sehr verbunden. Ich denke, er hat beispielsweise in seiner Rede auf Lampedusa sehr viele Impulse gesetzt, die auch viele Katholiken auf der ganzen Welt aufgenommen haben.

Wir wissen ja auch bei uns in Deutschland, wie viele Menschen es gibt, die sich seit den letzten Jahren verstärkt für Flüchtlinge und Migranten einsetzen. Da ist die Kirche auf einem guten Weg. Ich denke, das wird auch für die Zukunft weiter eine große Aufgabe bleiben.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Andrea Riccardi / © Andreas Gebert (dpa)
Andrea Riccardi / © Andreas Gebert ( dpa )
Quelle:
DR