Anglikanischer Primas hört zum Jahresende auf

Ein Jahrzehnt Kampf gegen die Spaltung

Der Primas der anglikanischen Weltgemeinschaft, Erzbischof Rowan Williams von Canterbury, hat zum Jahresende seinen Rückzug von seinem Amt angekündigt. Der 61-Jährige habe zum Januar einen Lehrauftrag am Magdalene College in Canterbury angenommen, teilte der Lambeth Palace, sein Londoner Amtssitz, am Freitag mit. Williams stand der anglikanischen Weltgemeinschaft mit ihren rund 77 Millionen Mitgliedern seit Dezember 2002 vor.

Regelmäßige Treffen: Bischof Williams und Papst Benedikt XVI. (KNA)
Regelmäßige Treffen: Bischof Williams und Papst Benedikt XVI. / ( KNA )

"Die Konstitution eines Ochsen und die Haut eines Rhinozeros." Das wünschte Rowan Williams seinem Nachfolger, als er am Freitag seinen Rückzug als Erzbischof von Canterbury und geistliches Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche öffentlich machte. Er wolle für seine Nachfolge "den, den auch Gott sich wünscht". Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe - obwohl schon seit Jahren über einen vorzeitigen Amtsverzicht spekuliert worden war - und der mögliche 105. Erzbischof von Canterbury mit Williams" loyaler "Nummer zwei", Erzbischof John Sentamu von York, bereits ausgespäht ist.



Williams geht - und er geht dorthin, wo er sich an wohl so manchem Tag seiner zehnjährigen Amtszeit hingesehnt hat: in die akademische Lehre. Der 61-jährige Erzbischof habe sich entschlossen, einem Ruf als "Master" des Magdalene College in Cambridge zu folgen. Das

passt: Denn wenn der nach eigenem Bekunden "skurrile Pfarrer der Nation" auch nicht als ein ausgemachter Sünder bekannt war - ein Sündenbock und Prügelknabe seiner zerstrittenen Kirche war er als Primas allemal.



Hirte und Hütehund zugleich

Der Erzbischof von Canterbury zu sein, das heißt auch, die Aufgaben von Hirte und Hütehund zugleich zu erfüllen. Qua Amt hat er schon viel faustische Grübelei darüber absolviert, was denn die Welt wohl im Innersten zusammenhält. Das Ehrenoberhaupt der rund 77 Millionen Mitglieder zählenden anglikanischen Weltgemeinschaft muss seine auseinanderdriftende Herde beisammen halten, und zwar mit nicht viel mehr Instrumenten als flinken Beinen, einem überragenden Intellekt, gutem Willen, diplomatischem Geschick und einer ebenso überragenden Leidensfähigkeit.



Von Haus aus ein waschechter Liberaler, musste Williams als Primas immer wieder die Brücke zwischen Traditionalisten und linkslastigen Kirchenreformern schlagen. Er muss gut zuhören können - und das, obwohl er - nach einer Mittelohrentzündung - auf einem Ohr taub ist.

"Seine Liberalen" fühlen sich dabei von ihrem einstigen Vordenker im Stich gelassen.



Barde, Dichter, Druide

Als der Waliser im Dezember 2002 "Canterbury" wurde, war er ihnen ein Hoffnungsträger, ein mit 52 Jahren noch vergleichsweise junger

Wilder: Barde, Dichter, Druide. Doch sein schweres Amt hat ihn wider Willen immer mehr Richtung rechts gedrückt: Diener einer Kircheneinheit, die seine persönlichen Einstellungen auffrisst. Oft zwischen den Stühlen sitzend, flicht er emsig an neuen Bändern, dehnbaren Kompromissen, die die zerrissenen Fäden zwischen den beiden Lagern ersetzen könnten.



Ein Hingucker ist der Poet mit dem weißen Rauschebart und den prächtigen Gewändern bei jedem seiner Auftritte. Er ist Mitglied im Gorsedd Beirdd Ynys Prydain, einer walisischen Bardenvereinigung neuzeitlicher Druiden, die sich zum Ziel gesetzt haben, keltische Traditionen wiederzubeleben.



Acht Sprachen spricht er - und auch seine britische Rhetorik ist so bewundernswert geschliffen, dass selbst Landsleute seinen Gedankengängen nur schwer folgen können - auch ohne Sprachbarriere. Volkstümlichkeit und Populismus sind weniger seine Sache als der akademische Diskurs. Mit intellektueller Brillanz legt Williams seine Hand in soziale Wunden der modernen Gesellschaft, spricht unbequeme Wahrheiten an.



Ablehnung des Irak-Kriegs

Leider gelang es dem Mann der leisen, nachdenklichen Töne nicht immer, sich selbst zu übersetzen. Dabei zeugen seine Einlassungen zu Religion, Politik und sozialem Sektor von Bodenständigkeit, Realitätssinn und Dialogbereitschaft. Sein Vorschlag, zur besseren Integration Teile der Scharia-Gesetzgebung für britische Muslime gelten zu lassen, sorgte für Aufsehen - und für Kopfschütteln.

Außenpolitisch bleibt vor allem seine deutliche Ablehnung des Irak-Kriegs im Gedächtnis, den er von Beginn an als ungerechtfertigt verurteilte.



Für die Unterstützung während der schwierigen Zeit seiner Amtsführung, die er als ein "enormes Privileg" empfunden habe, dankte Williams nun seiner Ehefrau Jane, mit der seit mehr als einem halben Leben verheiratet ist und mit der er eine Tochter und einen Sohn großgezogen hat. Er dankte auch seinen Amtsbrüdern und Kollegen - ohne ein Wort der Kränkung durch den Vorwurf vermeintlicher "Führungsschwäche". Rowan Williams wird auch die letzten neun Monate seiner Amtszeit so führen, wie er es immer getan hat: als skurriler Denker, Lehrer und Gentleman.