domradio.de: Noch Terroranschlägen, aber auch nach solchen Meldungen, wie denen von gestern – Terroranschlag vereitelt, womöglich noch dort, wo man jeden Tag entlang geht. Sind Ängste da normal?
Prof. Borwin Bandelow (stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin in Göttingen): Natürlich sind diese Ängste im Moment normal. Wir haben das Gefühl, dass wir gerade mal eben, mit Glück, einen Anschlag vermeiden konnten. Jeder hat Angst, dass es uns dann doch eines Tages erwischen könnte. Da gibt es eine Diskrepanz zwischen unserem Vernunftgehirn, was die statistische Wahrscheinlichkeit ausrechnen kann und dem einfachen Angstsystem, was nur diese schrecklichen Bilder von Terroranschlägen im Kopf hat. Die beiden kämpfen in unserem Kopf und im Moment gewinnt natürlich dieses einfache Angstsystem. Allerdings muss man damit rechnen, dass die Chance für jeden Einzelnen von uns sehr gering sein wird, dass wir Opfer eines solchen Anschlags werden könnten.
domradio.de: Trotzdem ärgert man sich so ein bisschen über die Terrorangst – so richtig rational kommt es einem nicht vor – wie wahrscheinlich ist es denn, tatsächlich Opfer eines Terroranschlags zu werden?
Bandelow: Man muss sich das so vorstellen, dass andere Gefahren sehr viel häufiger sind. Es sterben 3000 Menschen jährlich durch Autounfälle und sogar 9000 durch Haushaltsunfälle. Darüber denkt man nicht einmal nach. Selbst wenn es einmal einen schrecklichen Anschlag in Deutschland mit 50 Toten geben sollte. Das wäre für jeden Einzelnen für uns eine extrem geringe Chance. Weltweit ist es 1 zu 140 Millionen an einem Terroranschlag zu sterben. Man sollte davor weniger Angst haben, als vor anderen Gefahren. Wenn man sich morgens auf das Fahrrad setzt, ist die Chance 1 zu 250, dass man Opfer eines Fahrradunfalls wird. Deshalb sollte man versuchen, ruhig zu bleiben. Aber jedem geht es mal so, auch mir selber, dass man natürlich Angst hat, in Düsseldorf, aber auch anderen belebten Städten, wie München oder Frankfurt, auf Fußgängerzonen zu gehen.
domradio.de: Sie haben ein Buch geschrieben – wie man Ängste bekämpfen kann, wenn sie das Leben beherrschen. Wir Deutschen sind da ja besonders gezeichnet – oder?!
Bandelow: Wir Deutschen werden allgemein als sehr ängstlich bezeichnet. Das stimmt nur teilweise. Es gibt ein Nord-Südgefälle. Menschen, die nördlich wohnen, sind häufig ängstlich als Menschen, die im Süden leben. Ich habe da eine Erklärung dafür, dass diejenigen Menschen vor vielen hunderttausend Jahren, die nach Norden gezogen sind, Bedenkenträger sein mussten, weil sie nämlich sagen mussten; der Winter wird wahrscheinlich hart, wir müssen Nahrungsmittel sammeln. Das konnten die ängstlichen besser, während die unvorbereiteten, fröhlichen, unbekümmerten gestorben sind. So dass wir so eine Art Auslese sind, über Jahrtausende, von Bedenkenträgern. Das führt dazu, dass wir bei jeder drohenden Gefahr mehr Angst haben, als Menschen in Ländern des Äquators.
domradio.de: Welche religiöse Dimension gibt es denn, wenn wir über Angst sprechen – würden Sie als Psychiater und Psychotherapeut das auch mit als eine Dimension nehmen, wenn Sie über Angst sprechen?
Bandelow: Man hat mal untersucht, ob religiöse Menschen, aufgrund ihrer Religiosität weniger Angst haben. Das scheint nicht so zu sein. Das hebt sich allein deshalb auf, weil sich viele ängstliche Menschen sich auch in die Religion flüchten. Aber Religion kann einem schon bieten, dass man, wenn man Angst hat, eine gewisse Hoffnung hat, weil Religion im Kopf bestimmte Chemie freisetzt, wie Endorphine, die es einem erleichtern, mit der Angst umzugehen. So sind es zwei Faktoren, die sich gegenseitig wieder aufheben.
domradio.de: Und zuletzt noch: Angst ist ja auch überlebenswichtig, oder nicht?!
Bandelow: Ja, jede Angst ist überlebenswichtig. Wenn wir uns morgens ins Auto setzen, begleitet uns die Angst schon elegant durchs Leben, ohne, dass wir überhaupt darüber nachdenken. Wir passen die ganze Zeit auf, dass wir niemandem die Vorfahrt nehmen. Und das geschieht durch Angst heraus, ohne, dass wir darüber nachdenken, dass die ganze Zeit unsere Angstzentren im Gehirn tätig sind.
Das Interview führte Dr. Christian Schlegel