Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt

"Wir werden die Kraft finden"

Trauer und Entsetzen in Berlin nach der Katastrophe mit zwölf Toten - die Bundesregierung spricht von einem Terroranschlag. Papst Franziskus, Bischöfe und andere Religionsvertreter sowie Politiker haben ihre Bestürzung ausgedrückt. 

Kerzen in der Berliner Gedächtniskirche / © Maurizio Gambarini (dpa)
Kerzen in der Berliner Gedächtniskirche / © Maurizio Gambarini ( dpa )

"Wir haben keinen Zweifel mehr, dass es sich bei dem schrecklichen Ereignis gestern Abend um einen Anschlag gehandelt hat", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Mittag in einer Pressekonferenz: Es gebe zwölf Tote, darunter sei auch der Beifahrer des Lkw. Er weise Schussverletzungen auf.

Der festgenommene Verdächtige streitet nach Angaben des Ministers eine Tatbeteiligung ab. Er stammt laut de Maiziere aus Pakistan, ist Ende 2015 nach Deutschland eingereist und seit Februar in Berlin. Sein Asylverfahren sei noch nicht entschieden, in den entsprechenden Terror-Dateien sei er nicht vertreten. 

Noch kein Bekennerschreiben

Der dunkle Lastwagen mit polnischem Kennzeichen war laut Polizei gegen 20.00 Uhr auf einer Strecke von 50 bis 80 Metern über den Markt und zerstörte dabei mehrere Buden. Ein Bekennerschreiben gebe es bisher nicht, sagte de Maiziere. De Maizière warnte die Deutschen davor, ihren Lebensstil nach dem Berliner Anschlag zu ändern. "Lassen wir unser Leben nicht von Angst bestimmen", appellierte er: "Weichen wir zurück, dann haben die Feinde der Freiheit schon gewonnen."

Papst betet für Opfer von Berlin

Papst Franziskus betet für die Opfer des Anschlags von Berlin. Er sei tief betroffen von der "schrecklichen Gewalttat", hieß es in einem Telegramm, das Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin am Dienstag an den Berliner Erzbischof Heiner Koch sandte. "Seine Heiligkeit nimmt Anteil an der Trauer der Hinterbliebenen und bekundet ihnen und allen Betroffenen sein Mitgefühl und seine Nähe in ihrem Schmerz."

Weiter hieß es, der Papst verbinde sich "mit allen Menschen guten Willens, die dafür arbeiten, dass der mörderische Wahnsinn des Terrorismus keinen Platz in unserer Welt hat".

Merkel: "frei, miteinander und offen"

Zuvor hatte sich Bundeskanzlerin Merkel am Vormittag tief erschüttert gezeigt. "Das ist ein sehr schwerer Tag", sagte sie in Berlin. Sie denke in diesen Stunden zuallererst an die Toten und Verletzten. Ein ganzes Land sei in Trauer vereint.

"Wir wollen nicht damit leben, dass uns die Angst vor dem Bösen lähmt", sagte Merkel. "Auch wenn es in diesen Stunden schwerfällt: Wir werden die Kraft finden für das Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen: frei, miteinander und offen." Merkel sagte: "Ich denke an die Rettungskräfte, Polizisten, Feuerwehrleute, Ärzte und Sanitäter." Die Kanzlerin dankte ihnen "von Herzen für ihren schweren Einsatz" und kündigte eine umfassende Aufklärung an.

 

In der Hauptstadt finden am Dienstag Gebete und ein Trauergottesdienst statt. Der katholische Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, hatte am Montagabend für 12.00 Uhr zum Gebet in die Sankt-Hedwigs-Kathedrale eingeladen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) kündigte für 18.00 Uhr einen Gedenkgottesdienst in der Gedächtniskirche an - unmittelbar am Ort der tödlichen Fahrt des Lastwagens. Für die Bundesbehörden ordnete der Bundesinnenminister Trauerbeflaggung an. 

Erzbischof Koch hatte bereits am Montagabend erklärt, er sei schockiert von den Bildern. Im Gebet sei er bei den Opfern und ihren Angehörigen. Im domradio.de-Interview sagte er, in einer solchen Situation helfe nur mitschweigen und beten. Jetzt sei nicht die Zeit der großen Worte.

Marx: "Für alle werde ich beten"

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, zeigte sich tief erschüttert. "Die Gewalt auf dem Weihnachtsmarkt ist das Gegenteil dessen, was die Besucher wollten", erklärte Marx am Morgen. Sein Mitgefühl gelte den Angehörigen der Toten und Verletzten. "Für alle werde ich beten." Der Erzbischof von München und Freising ergänzte: "In dieser schweren Stunde für die Stadt Berlin und unser Land gilt es, dass wir als Gesellschaft zusammenstehen und zusammenhalten."

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und Münchner Kardinal Reinhard Marx hat nach dem Anschlag von Berlin dazu aufgerufen, "klug und besonnen" zu reden und zu handeln. Es gelte ruhig und genau hinzusehen. Dafür müssten Menschen in den Parteien, Medien und in der Gesellschaft gewonnen werden, sagte Marx am Dienstag im Münchner Presseclub. Die zu erwartende Diskussion werde sich in erster Linie um die Sicherheit drehen. Dafür habe er Verständnis, doch mache ihm das Klima im Land insgesamt Sorge und "wie wir miteinander reden".

Der Kardinal erinnerte daran, dass es ein Ziel von Terroristen sei, Hass und Spaltung zu verursachen und dabei neue Gewalt hervorzurufen.

Ihnen gehe es darum, die Gesellschaft zu destabilisieren und zum Zerfall zu bringen. Die "riesige Herausforderung" bestehe darin, den Hass zu überwinden und Ideologien von innen her zu bekämpfen. Dabei sollten die Religionen als Instrumente des Friedens wirken. Er wisse, dass dies ein mühsamer Weg werde, betonte der Kardinal.

"Wir werden erleben, dass stark nach Schuldigen gesucht wird." Doch dabei verwahrte er sich dagegen, der Bundesregierung, den Flüchtlingen oder den Kirchen die Schuld zuzuschieben. Als Bischof sei er dem Evangelium verpflichtet, erinnerte Marx. "Es gefällt nicht jedem, was wir da sagen, aber wir müssen es sagen." Die Länder in Europa und der Westen generell müssten sich vergewissern, für welche Werte sie stünden. Er wolle die Hoffnung nicht aufgeben, dass Europa sich noch einmal neu aufmache. Denn sich wie in eine Zitadelle zurückzuziehen sei kein Zukunftsprogramm.

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick forderte auf Twitter mehr Menschlichkeit.

 

Auch Hamburgs Erzbischof Stefan Heße versicherte sein Mitgefühl. "Ich halte inne und denke an die getöteten Menschen in Berlin, an die Verletzten, an ihre Angehörigen und Freunde", sagte er am Dienstag in Hamburg. Er werde für sie und für alle Opfer von Terror und Gewalt beten. Zusammen mit ihm täten das in diesen Tagen viele Menschen im Erzbistum Hamburg, betonte der Erzbischof, der auch Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz ist.

Appell zu Besonnenheit statt Hass

Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck hat sich über den Anschlag in Berlin erschüttert gezeigt. "Der Vorfall im Zentrum Berlins macht mich fassungslos", erklärte der katholische Sozialbischof am Dienstag in Essen. Er rief zum gemeinsamen Gebet und Gedenken an die Todesopfer und Verletzten auf. In Zeiten, in denen Worte fehlten, helfe das Gebet, so der Ruhrbischof. "Nur wenn wir immer wieder für die Würde des Menschen einstehen und den Weg der Versöhnung gemeinsam gehen, können wir Terror, Mord, Gewalt und Hass überwinden."

Zur Besonnenheit rief der Trierer Bischof Stephan Ackermann auf. Es sei verständlich, dass Menschen wütend seien und Angst hätten, sagte Ackermann der Katholischen Nachrichten-Agentur. Man düfe sich jedoch nicht in die Dynamik der Täter hineinziehen lassen.

Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller sieht in der Amok-Fahrt von Berlin einen möglichen antichristlichen Hintergrund. Der "symbolische Wert" der Tat auf einem belebten Adventsmarkt wenige Tage vor Weihnachten sei "vielleicht sogar berechnet". Insofern sei es "auch ein Anschlag auf unsere christliche Kultur, auf unsere besondere Art und Weise, gerade die Familie, das Zusammengehörigkeitsgefühl am Weihnachtsfest in den Mittelpunkt zu stellen", sagte der deutsche Kardinal und Präfekt der römischen Glaubenskongregation dem Sender Radio Vatikan.

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sprach von einer "fürchterlichen Gewalttat". Der bayerische Landesbischof sagte: "Wir alle sind entsetzt über diese brutale und sinnlose Gewalt. So viele unschuldige Menschen sind ihr zum Opfer gefallen." Mit zahlreichen Menschen in Deutschland und weltweit sei er im Gebet vereint. Es handele sich um eine "feige Gewalttat".

Der evangelische Bischof Markus Dröge verbreitete über Twitter: "Ich bete für die Toten und Verletzten dieses Abends und danke allen Rettungskräften für ihr kompetentes Handeln". Auch Koch dankte allen Sicherheitskräften, Sanitätern und Notfallseelsorgern.

Mazyek: "Böse Saat darf niemals aufgehen"

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) rief Vertreter von Kirchen und Religionsgemeinschaften zu gemeinsamen Mahnwachen auf. Der Zentralrat werde sich "mit all seinen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einsetzen, dass die böse Saat, Panik, Hass und Zwietracht zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und Religionen zu stiften, niemals aufgeht", erklärte der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek. "Wir werden wachsam und entschlossen sein, und vor allem gemeinsam dafür einstehen, dass unsere Weltstadt Berlin mit ihren Menschen eine weltoffene, lebensfrohe und tolerante Stadt ist und bleibt."

Die Gemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat sprach von Grauen und Schmerz. Es sei eine "menschliche Tragödie". Und weiter: "Möge Gott den unschuldig Leidenden beistehen und ihr Leid mindern."

"Wir sind zutiefst erschüttert", erklärte auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. "Ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit, in der sich unsere Gesellschaft auf Werte wie Nächstenliebe, Güte und Frieden besinnt, wurde unser Land durch diesen abscheulichen Angriff erneut ins Mark getroffen." Das Denken und Handeln der Menschen dürfe dennoch nicht von Terror und Hass vereinnahmt werden. 

Resing: "möglicher Anschlag auf christliche Identität"

Der Chefredakteur der christlichen Herder Korrespondenz, Volker Resing, Journalist in der Hauptstadt, betonte, das mutmaßliche Anschlagsziel Weihnachtsmarkt bedeute möglicherweise auch einen Angriff auf die christliche Identität

"Ich frage mich, ob wir als Gesellschaft stark genug sind, diesem Angriff Stand zu halten und uns nicht von Furcht und Abschottung leiten zu lassen, sondern unsere freiheitliche Gesellschaft, die christlich geprägt ist, zu verteidigen", sagte Resing im Gespräch mit domradio.de. 

Mit Betroffenheit reagierte auch die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos). "Die erschütternden Bilder vom Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche lösen auch in unserer Stadt Entsetzen und tiefe Trauer aus. Wenige Tage vor dem Weihnachtsfest müssen wir erleben, dass viele unschuldige Menschen durch eine grausame und barbarische Tat aus dem Leben gerissen werden", erklärte Reker. Das Mitgefühl gelte den Angehörigen der Opfer und den Verletzten.

Keine zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen im Vatikan

Nach dem Attentat in Berlin sind zu den Weihnachtsfeierlichkeiten in Rom keine zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen geplant. Rund um den Petersplatz blieben die Maßnahmen in Kraft, die seit Beginn des Heiligen Jahrs gälten, sagte eine Polizeisprecherin am Dienstag auf Anfrage.

Der auf den Petersplatz zuführende obere Teil der Via della Conciliazione ist seit einem Jahr für den Verkehr gesperrt und durch bewegliche Absperrgitter gesichert. An den seitlichen Zufahrtswegen zu den Kolonnaden stehen rund um die Uhr bewaffnete Polizei- und Militärposten, teils mit gepanzerten Fahrzeugen.

Zum traditionellen Papst-Segen "Urbi et orbi" am Weihnachtstag versammlen sich gewöhnlich Zehntausende Menschen auf dem Petersplatz und auf der Via della Conciliazione. Die Christmette selbst findet im Petersdom statt. Gottesdienstbesucher müssen Eingangskontrollen passieren.


Quelle:
KNA , dpa , epd , DR
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