In dieser Woche gibt Pater Anselm Grün OSB montags bis samstags um 07:45 Uhr im Radioprogramm von DOMRADIO.DE Impulse zum Bibeltext des Tages. Pater Anselm ist Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach und seit Jahrzehnten Bestsellerautor von spirituellen Büchern.
An diesem Montag erzählt das Markusevangelium von Schriftgelehrten, die Jesus vorwerfen, er sei von Beélzebul besessen; mit Hilfe des Herrschers der Dämonen treibe er die Dämonen aus (Mk 3,22-30).
DOMRADIO.DE: Ist das heute nicht ein ziemlich düsterer Text? Pater Anselm, wie haben Sie das beim ersten Hören wahrgenommen?
Pater Anselm Grün OSB: Beim ersten Lesen fällt mir auf, dass es skrupulöse Menschen gibt, die immer sagen: Ich habe gegen den Heiligen Geist gesündigt. Kann das vergeben werden? Da versuche ich immer zu erklären, dass die Sünde gegen den Heiligen Geist keine Tatsünde ist, sondern dass das Verstockte die Sünde ist. Wenn ich zu jemanden sage "Du hast gar nix zu sagen" oder wenn ich sage "Dieser Jesus ist vom Dämon besessen", dann bin ich ja gar nicht bereit zuzuhören. Es ist für mich ein höchst modernes Problem, denn das geschieht heute auch.
Ein Beispiel: Wir sagen, die Kirche hat uns wegen der vielen Missbrauchsfälle ohnehin nichts zu sagen oder der Pfarrer sagt das sowieso nur, weil er das sagen muss.
Oder ein anderes Beispiel: Mein Chef sagt immer das Gleiche; der Arzt oder der Therapeut hat mir nichts zu sagen, keiner hat mir was zu sagen.
Also, den Dämon im anderen sehen, heißt, ich dämonisiere ihn, ich höre überhaupt nicht zu, der hat nichts zu sagen. Dann schließe ich mich selber vom Leben aus.
Insofern ist dieser Text durchaus modern, denn wir sind heute auch schnell bereit zu dämonisieren. Wenn ich aber nichts an mich herankommen lasse, dann kann natürlich auch keine Beziehung entstehen.
DOMRADIO.DE: Was kann denn gemeint sein, wenn die Bibel von unreinen Geistern spricht? Wie kann man das heute verstehen?
Grün: Unreine Geister können etwas sein, das mein Denken trübt. Das können zum Beispiel Vorstellungen sein, die ich von mir selber habe, etwa: Ich muss perfekt sein, ich muss immer gut drauf sein oder ich bin was Besonderes.
Viele Menschen haben zu hohe Vorstellungen oder zu kleine Vorstellungen von sich selbst. Oder Dämonen oder unreine Geister können Zwangsvorstellungen, neurotische Muster sein. Oder es können Projektionen sein, die andere mir übergestülpt haben, wie etwa die Eltern sich auf ein Bild von ihrem Kind festgelegt haben, wie es sein muss. Das trübt dann das eigene Denken.
DOMRADIO.DE: Was wäre ein Impuls, den man aus diesem Text heraus vielleicht mit in den Tag nehmen kann?
GRÜN: Das Erste ist, dass ich meine eigenen Selbstbilder überprüfe. Stimmen die mit meinem Wesen überein oder trüben die mein Denken? Oder was trübt generell mein Denken, was sind meine Vorurteile dem anderen gegenüber? Entscheidend ist, dass ich offen für Menschen bin und nicht sofort dämonisiere.
Für mich ist "Verstehen statt bewerten" ganz wichtig. Wenn ich versuche, den anderen zu verstehen, dann bin ich offen. Das heißt nicht, dass ich die Meinung immer gleich teilen muss. Aber ich verschließe mich nicht und sage, der hat mir nichts zu sagen.
Das Interview führte Verena Tröster.