Ansprache von Papst Franziskus an kanadische Indigene

"Die Kirche kniet nieder und bittet um Vergebung"

Papst Franziskus hat am Montag am Ort einer früheren Residential School in Maskwacis um Vergebung gebeten für das Unrecht, das dort von Katholiken an indigenen Kindern verübt wurde. Einige Auszüge aus der Ansprache.

Ein indigener Mann wischt sich die Tränen weg, nachdem Papst Franziskus sich bei den indigenen Völkern entschuldigt hat. / © Nathan Denette (dpa)
Ein indigener Mann wischt sich die Tränen weg, nachdem Papst Franziskus sich bei den indigenen Völkern entschuldigt hat. / © Nathan Denette ( dpa )

"Frau Generalgouverneurin, Herr Premierminister, liebe indigene Bevölkerungen von Maskwacis und dieses kanadischen Bodens, liebe Brüder und Schwestern!

Ich habe darauf gewartet, zu euch zu gelangen. Von hier aus, von diesem traurig stimmenden Ort, möchte ich mit dem beginnen, was ich innerlich beabsichtige: eine Bußwallfahrt. Ich komme in eure Heimat, um euch persönlich zu sagen, dass ich voller Kummer bin, und um Gott um Vergebung, Heilung und Versöhnung zu bitten, um euch meine Nähe zu zeigen, um mit euch und für euch zu beten.

Ich erinnere mich an die Begegnungen, die vor vier Monaten in Rom stattgefunden haben. Damals waren mir zwei Paar Mokassins überreicht worden, die Zeichen für das Leid der indigenen Kinder sind, insbesondere derjenigen, die aus den Internatsschulen leider nicht mehr nach Hause zurückkehrten. Man hatte mich gebeten, die Mokassins bei meiner Ankunft in Kanada zurückzugeben; ich werde dies am Ende dieser Ansprache tun, bei der ich dieses Symbol als Ausgangspunkt nehmen möchte, das in mir in den letzten Monaten Schmerz, Empörung und Scham hervorgerufen hat.

Die Erinnerung an diese Kinder erfüllt uns mit Trauer und ruft zum Handeln auf, damit jedes Kind mit Liebe, Würde und Respekt behandelt wird. Aber diese Mokassins erzählen uns auch von einer Reise, einem Weg, den wir gemeinsam beschreiten wollen. Gemeinsam gehen, gemeinsam beten, gemeinsam arbeiten, damit die Leiden der Vergangenheit einer Zukunft der Gerechtigkeit, Heilung und Versöhnung Platz machen.

(...)

Der Ort, an dem wir uns jetzt befinden, ruft in mir einen Schmerzensschrei hervor, einen unterdrückten Schrei, der mich in diesen Monaten begleitet hat. Ich denke an die Tragödie, die so viele von euch, eure Familien, eure Gemeinschaften erlitten haben; an das, was ihr mir über das Leid, das ihr in den Internatsschulen ertragen musstet, erzählt habt. Dies sind traumatische Erfahrungen, die in gewisser Weise jedes Mal wieder durchlebt werden, wenn sie in Erinnerung gerufen werden, und ich bin mir bewusst, dass auch unsere heutige Begegnung Erinnerungen wachrufen, Wunden aufreißen kann und dass viele von euch Schwierigkeiten haben könnten, während ich spreche.

(...) Das Gedenken an die verheerenden Erfahrungen in den Internatsschulen macht betroffen, empört, schmerzt, aber es ist notwendig. Es ist notwendig, daran zu erinnern, dass die Politik der Assimilierung und Entrechtung ('enfranchisement'), zu der auch das System der Internatsschulen gehörte, für die Menschen in diesen Gebieten verheerend war. Als die ersten europäischen Siedler dort ankamen, bot sich die große Chance, eine fruchtbare Begegnung von Kulturen, Traditionen und Spiritualität zu entwickeln. Dies ist jedoch größtenteils nicht geschehen.

Und ich erinnere mich erneut an eure Berichte: wie die Assimilationspolitik dazu führte, dass die indigenen Völker systematisch an den Rand gedrängt wurden; wie auch durch das System der Internatsschulen eure Sprachen und Kulturen verunglimpft und unterdrückt wurden; wie Kinder körperlich und verbal, psychologisch und spirituell misshandelt wurden; wie sie von klein auf von zu Hause weggeholt wurden und wie dies die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, Großeltern und Enkeln unauslöschlich gezeichnet hat.

(...) Ich bin hier, weil der erste Schritt dieser Bußpilgerfahrt unter euch darin besteht, meine Bitte um Vergebung zu erneuern und euch von Herzen zu sagen, dass ich zutiefst betrübt bin:

Ich bitte um Verzeihung für die Art und Weise, in der leider viele Christen die Mentalität der Kolonialisierung der Mächte unterstützt haben, die die indigenen Völker unterdrückt haben. Ich bin schmerzlich betrübt. Ich bitte um Vergebung, insbesondere für die Art und Weise, in der viele Mitglieder der Kirche und der Ordensgemeinschaften, auch durch Gleichgültigkeit, an den Projekten der kulturellen Zerstörung und der erzwungenen Assimilierung durch die damaligen Regierungen mitgewirkt haben, die im System der Internatsschulen ihren Höhepunkt fanden.

Obgleich die christliche Nächstenliebe zugegen war und es nicht wenige vorbildliche Fälle der Einsatzbereitschaft für die Kinder gab, waren die Folgen der mit den Internatsschulen verbundenen Politik insgesamt katastrophal. Der christliche Glaube sagt uns, dass dies ein verheerender Fehler war, der mit dem Evangelium von Jesus Christus unvereinbar ist. Das Wissen darum betrübt, dass der feste Boden der Werte, der Sprache und der Kultur, der euren Bevölkerungen einen unverfälschten Sinn für die Identität verliehen hat, ausgehöhlt wurde und dass ihr weiterhin den Preis dafür zahlt. Angesichts dieses empörenden Übels kniet die Kirche vor Gott nieder und bittet um Vergebung für die Sünden ihrer Kinder (vgl. JOHANNES PAUL II, Bulle Incarnationis mysterium [29. November 1998], 11: AAS 91 [1999], 140). Ich möchte dies mit Beschämung und Klarheit wiederholen: Ich bitte demütig um Vergebung für das Böse, das von so vielen Christen an den indigenen Bevölkerungen begangen wurde.

Liebe Brüder und Schwestern, viele von euch und euren Vertretern haben gesagt, dass die Abbitte nicht ein Zielpunkt ist. Ich stimme voll und ganz zu: Sie stellt nur den ersten Schritt dar, den Ausgangspunkt. Ich bin mir auch bewusst: 'Wenn wir auf die Vergangenheit blicken, ist es nie genug, was wir tun, wenn wir um Verzeihung bitten und versuchen, den entstandenen Schaden wiedergutzumachen. Schauen wir in die Zukunft, so wird es nie zu wenig sein, was wir tun können, um eine Kultur ins Leben zu rufen, die in der Lage ist, dass sich solche Situationen nicht nur nicht wiederholen, sondern auch keinen Raum finden' (Brief an das Volk Gottes, 20. August 2018).

(...)

Meinerseits werde ich weiterhin zum Einsatz aller Katholiken für die indigenen Völker ermutigen. Ich habe dies bei mehreren Gelegenheiten und an verschiedenen Orten getan, durch Begegnungen, Appelle und auch durch ein Apostolisches Schreiben. Ich weiß, dass all dies Zeit und Geduld erfordert: Es handelt sich um Prozesse, die in die Herzen eintreten müssen, und meine Anwesenheit hier und das Engagement der kanadischen Bischöfe sind ein Zeugnis für den Willen, auf diesem Weg voranzuschreiten.

Liebe Freunde, diese Pilgerreise erstreckt sich über mehrere Tage und wird weit voneinander entfernte Orte erreichen. Dennoch wird es mir nicht möglich sein, den vielen Einladungen nachzukommen und Zentren wie Kamloops, Winnipeg, verschiedene Orte in Saskatchewan, dem Yukon und den Gebieten des Nordwestens zu besuchen. Auch wenn das nicht möglich ist, sollt ihr wissen, dass ich mit meinen Gedanken und meinem Gebet bei euch bin. Ihr sollt wissen, dass ich die Leiden, die traumatischen Erfahrungen und die Herausforderungen der indigenen Völker in allen Regionen dieses Landes kenne. Meine Worte, die ich auf diesem Weg der Buße gesprochen habe, richten sich an alle indigenen Gemeinschaften und Personen, die ich von Herzen umarme.

In dieser ersten Phase wollte ich Raum für das Gedächtnis schaffen. Heute bin ich hier, um an die Vergangenheit zu erinnern, um mit euch zu weinen, um in Stille auf die Erde zu blicken, um an den Gräbern zu beten. Lassen wir es zu, dass die Stille uns allen helfe, die Trauer zu verinnerlichen. Schweigen. Und Gebet: Beten wir angesichts des Bösen zum Herrn des Guten; beten wir angesichts des Todes zum Gott des Lebens. (...) Möge er uns an die Hand nehmen. Möge er derjenige sein, der uns gemeinsam gehen lässt."

Quelle:
KNA