DOMRADIO.DE: Was haben Sie damals in der Predigt gesagt? Was hat da für Aufregung gesorgt?
Ralf Sedlak (evangelischer Pfarrer in Langenau im Alb-Donau-Kreis): Das Ereignis liegt nun über ein Jahr zurück. In der Predigt
am 15. Oktober habe ich über das Thema der Gebetshörung gesprochen.
Und kurz nach dem Anschlag der Hamas stand natürlich auch die Frage im Raum: Können wir so ein schreckliches Ereignis vor Gott irgendwie in Worte fassen und das Leid der Menschen klagen? Und dann habe ich gesagt und ich kann das relativ genau wörtlich noch einmal wiedergeben, weil wir damals einen Livestream hatten: "Die Nachrichten aus Israel von heimtückisch ermordeten Menschen, darunter viele Säuglinge, Kleinkinder und Senioren, von vergewaltigten und zur Schau gestellten Frauen, von entführten Familien..." Das habe ich gesagt und wollte dann weitverfahren mit der Frage "Wo ist Gott angesichts dieses Geschehens und wie können wir Menschen so etwas überhaupt fassen und ihm klagen?". Dazu bin ich aber gar nicht gekommen, sondern es wurde sehr lautstark und rüde von einem anwesenden Mann, den ich vorher nicht wahrgenommen habe, unterbrochen, der mir ins Wort fiel und rief "Das ist falsch! Das sind Fake News! Diese Nachrichten sind falsch. Wir müssen uns dagegen wehren und nicht klatschen!".
Dann gab es einen ungefähr fünfminütigen Disput. Wobei Disput war es eigentlich erst nach zwei, drei Minuten, als ich irgendwie geschafft habe, mich zu sammeln und dieser Störung auch etwas entgegenzusetzen. Aber mehr oder minder wurde ich lautstark niedergebrüllt.
DOMRADIO.DE: Damit war das Thema aber noch nicht erledigt. Was ist danach noch passiert?
Sedlak: Dann war erst mal für einige Wochen eher Ruhe. Es sind ein paar Dinge um unser Pfarrhaus vorgefallen, auf die ich nicht näher eingehen möchte, die eine gewisse bedrohliche Situation geschaffen haben. Und dann ging es am Karfreitag dieses Jahres los. Da standen dann zwei Aktivisten mit großen Transparenten vor der Kirche, die zum Boykott Israels aufgerufen haben und Israel des Völkermords bezichtigen. Mit entsprechenden karikaturhaften Darstellungen. Diese Szenerie setzt sich vor unserer Martinskirchean beinahe allen Sonntagen bis heute fort.
Es blieb auch nicht nur bei Personen mit Plakaten, sondern es wurden auch Parolen gegen die Kirchengemeinde, gegen die Besucher der Gottesdienste und auch Passanten, die vorüberkamen, gebrüllt. Unter anderem wurde unsere Kirche als Nazikirche, als Komplizin am Völkermord bezeichnet. Und es gab immer wieder tumultartige Szenen nach den Gottesdiensten vor der Kirche.
DOMRADIO.DE: Inwieweit greift die Polizei ein?
Sedlak: Die Polizei war nur in wenigen Fällen vor Ort. Wir dokumentieren die Vorfälle. Wir rufen aber nicht in jedem Einzelfall die Polizei. Das würde die Kapazitäten der örtlichen Polizei überfordern.
Wir haben von der Polizei die Auskunft, dass in jedem Fall zu prüfen ist, ob die Dinge unter die Meinungs- und Versammlungsfreiheit fallen oder ob strafrechtlich relevante Tatbestände vorliegen oder auch bestimmte Ordnungswidrigkeiten, zum Beispiel Verstöße gegen das Versammlungsrecht oder wildes Plakatieren und Ähnliches. Diese Dinge sind alle bei der Staatsanwaltschaft derzeit in Prüfung. Deshalb kann ich zu den laufenden Dingen keine Auskunft geben.
DOMRADIO.DE: Der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Baden-Württemberg hat sich auch schon eingeschaltet, auch weil antisemitische Vorfälle in Deutschland seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres sprunghaft zugenommen haben. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Solidarität oder Mitgefühl mit palästinensischen Opfern meist sofort reflexartig in Antisemitismus umschlagen?
Sedlak: Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt stimmt, dass es diesen reflexhaften Umschlag gibt.
Ich glaube, in den Medien wird das manchmal so wahrgenommen, weil es vielleicht auch Dinge sind, die eine Skandalisierung möglich machen. Wenn ich jetzt auf die Geschehnisse in und um unsere Kirchengemeinde schaue, dann möchte ich erst einmal festhalten, dass wir in unseren Gottesdiensten, in den Fürbitten, in den Gottesdiensten für Frieden, für alle Menschen beten, dass wir auch die Situation der Menschen in den besetzten Gebieten im Gazastreifen, den Menschen im Libanon in den Blick nehmen und dass auch in den Gebeten angesprochen haben in den vergangenen Monaten. Dass es in unserer Kirchengemeinde auch keine einseitige Positionierung gibt, die uns vielleicht von außen vorgeworfen werden könnte.
So nach dem Motto: Ihr seid proisraelisch, andere sind propalästinensisch und da besteht ein Konflikt. Im Gegenteil, ich habe den Eindruck, das, was wir erleben, ist eine Zuspitzung. Es ist eine Zuspitzung, die dem Sachverhalt auch der Frage: "Wie geht man mit dem Konflikt um? Wie kann man mit widerstreitenden Meinungen ins Gespräch kommen?" nicht angemessen ist.
DOMRADIO.DE: Wie sind die Reaktionen in der Gemeinde? Gibt es Menschen, die Angst haben, bereits einen Bogen Kirche machen oder ähnliches?
Sedlak: Wir streamen viele unserer Gottesdienste und die Menschen, die regelmäßig unsere Gottesdienste besuchen, wissen um dieses Angebot. Da gibt es schon gewisse Ausweichbewegungen, dass Menschen sagen: Ich schau mir das lieber von zu Hause oder unterwegs auf dem Smartphone an, als dass ich direkt in die Gottesdienste komme.
Aber es gibt auf der anderen Seite auch viele Menschen, die zwar deutlich sagen: Ich finde diese Angriffe und Pöbeleien persönlich sehr lästig, ich fühle mich dadurch bedrängt, aber ich komme trotzdem ganz bewusst in die Gottesdienste, auch um meiner Kirchengemeinde die Verbundenheit zu zeigen.
Wir achten als Kirchengemeinde darauf, dass wir vor allem auch die Seitenausgänge der Kirche zum Hinausgehen empfehlen, um die Menschen nicht unbedingt in die Situation vor dem Hauptportal laufen zu lassen. Da merken wir, dass das auch gerade mit Blick auf Kinder und Jugendliche eine ganz gute Hilfestellung ist. Insgesamt erfahren wir hier vor Ort durch unsere Gemeindeglieder, aber auch durch Menschen in der Ökumene aus der katholischen Schwesterngemeinde und andere Bürger am Ort eine große Solidarität.
DOMRADIO.DE: Welche Hoffnung haben Sie für die die Zukunft? Wird es besser?
Sedlak: Es wäre ja schön, wenn man sagen könnte, man setzt sich mit allen Beteiligten an einen Tisch und findet dann eine Lösung. Das scheint mir derzeit aber eher ein fernes Ziel zu sein, weil ich den Eindruck habe, dass eine große Aggression und Vehemenz in diesen Protesten steckt und manches vielleicht auch irrational ist.
Von daher denke ich, dass es erst mal eine gewisse Ordnung, vielleicht auch durch die Behörden braucht, dass geklärt wird: Inwiefern können diese Kundgebungen vor unserer Kirche stattfinden? Was erlaubt die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und wie sieht es auch mit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit unserer Kirchengemeinde aus?
Es gibt ja auch noch andere Meinungen als die vorgetragene Meinung. Ich finde es problematisch, wenn ein öffentlicher Platz monothematisch durch eine Kundgabe Sonntag für Sonntag besetzt ist. Ich glaube, es geht erst einmal darum, diese Fragen zu klären. Und dann müssen wir weiter schauen, wie man in den Dialog kommen kann und insgesamt zu einer Befriedung der Situation kommen kann. Wir als Kirchengemeinde würden uns wünschen, dass die Menschen, die zu uns kommen, wieder ohne Angst und Sorgen kommen, dass sie sich frei vor der Kirche bewegen können und dass wir insgesamt auch wieder ein offenes Haus pflegen können.
Das Gespräch führte Bernd Hamer.