domradio.de: Die Aramäer, Galiläer und Juden nahmen als erste die Lehre Jesu an. Jesus selbst hat ihre Sprache gesprochen: Aramäisch. Und Aramäer sind nicht nur eine historische Erscheinung, sondern leben noch heute - zum Beispiel in der Türkei. Dort sind sie eine religiöse Minderheit. Sie sind Christen. Unter welchen Bedingungen leben die Aramäer derzeit in der Türkei?
Daniyel Demir (Vorsitzender des Bundesverbands der Aramäer in Deutschland): Die Aramäer sind in der Tat ein biblisches Volk. Sie leben im türkischen Südostanatolien und das als Minderheit. Die Aramäer sind im ersten Weltkrieg Opfer des Völkermordes und zu Hundertausenden Opfer aufgrund ihres urchristlichen Glaubens geworden.
domradio.de: Wie ist das in der heutigen Zeit?
Demir: Die erneute Eskalation des Kurdenkonflikts in der Türkei bringt die Aramäer erneut in Bedrängnis.
domradio.de: Es gibt Berichte von brennenden Feldern der Christen. Die Kurdenkämpfer setzen sich auf christlichem Land fest und die türkische Armee stellt ihnen nach, oder wie kann man sich das vorstellen?
Demir: Sie wurden quasi zwischen diesen großen Blöcken zerrieben. Es leben von den vielen Hundertausenden nur noch 2.000 in ihrer Heimat.
domradio.de: Ende vergangener Woche wurde die einzige aramäische Bürgermeisterin im Südosten der Türkei, in der Stadt Mardin, ihres Amtes enthoben. Man hat ihr auch eine Verbindung zu Terrorgruppen vorgeworfen, oder wie wurde diese Maßnahme begründet?
Demir: Zum Teil sind das sehr fadenscheinige Begründungen. Auch deshalb, weil sie mit den Stimmen der Kurden an die Doppelspitze der Stadt Mardin gewählt wurde. Alles, was in Verbindung zu den kurdischen Parteien steht, wird eben hier aufgrund dieser Amtsenthebungsverfahren beseitigt. Für uns Aramäer ist das auch ein sehr klares Signal, dass man die Aramäer in ihren Positionen nicht haben will. Dass man sie des Amtes enthebt, aus Gründen, die mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun haben.
domradio.de: Wie nehmen das die Aramäer auf?
Demir: Das hat immer wieder Signalwirkung auf die wenig noch verbliebenen Aramäer. Sie ist die aktuell einzige aramäische Christin in dieser Position in der Türkei gewesen. Davor gab es auch einen Aramäer in einer anderen Stadt, der erschossen wurde. Wir haben in dieser alten aramäischen Stadt keine Christen mehr. In Mardin haben wir auch eine große aramäische Gemeinschaft mit einem sehr bekannten Kloster.
domradio.de: Gerade wurden wieder 15.000 Staatsbedienstete entlassen - wegen angeblicher Verbindungen zu Terror-Organisationen. Mittlerweile sind es ja schon über 100.000 Staatsbedienstete, die entlassen worden sind. Die Betroffenen müssen das über sich ergehen lassen?! Es gibt überhaupt keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen?
Demir: Die Menschen haben ihre Wurzeln dort. Die Menschen möchten ihre Heimat nicht verlassen. All das, was sie dort verwurzelt, ist es wert, bewahrt zu werden. Wir haben im Grunde in der Türkei nur noch in Istanbul eine größere Aramäische Gemeinde. Wir sprechen in der Türkei von knapp 20.000 Aramäern. Etwa Zwei- bis Dreitausend leben im Südosten der Türkei. Der Rest lebt in Istanbul. Eine Flucht innerhalb des Landes ist nicht vorstellbar - vom Land in die Stadt. Das können sie sich nicht leisten. Ganz fort - das kommt auch nicht in Frage.
domradio.de: Wenn Sie die derzeitigen Beratungen der EU beobachten, die am Donnerstag im Parlament darüber abstimmt, ob die Beitrittsverhandlungen weitergeführt werden oder nicht … Kann diese Entscheidung Folgen haben für die bedrohten Menschen in der Türkei?
Demir: Wenn wir uns die Situation davor anschauen, war die Situation schon vorher sehr negativ. Es gab einen Enteignungsprozess von einem Kloster, in den Schulbüchern wurden über die Minderheiten gehetzt. All die initiierten Demokratieprozesse vor einigen Jahren sind völlig zum Erliegen gekommen. Man hat in der Türkei es auch vermissen lassen, offen und ganz klar die Prinzipien einzufordern, für die die EU steht. Im Grunde werden sie seit Jahren mit Füßen getreten. Beitrittsverhandlungen kann sich kein EU-Politiker vorstellen.
domradio.de: Was muss getan werden?
Demir: Ich denke, eine klare Sprache, das ist das, was in der Türkei verstanden wird. Alles andere hat uns vorher nicht geholfen und wird es im Nachhinein auch nicht.
Das Interview führte Daniel Hauser.