In Argentinien werden 34 Jahre nach dem Käsemann-Mord Ex-Militärs verurteilt

In den Fängen der Folterer

Es war am Abend des 23. Mai 1977, als Elisabeth Käsemann "zur Verlegung" gerufen wurde. Die deutsche Studentin war eine der Gefangenen im Folterlager "El Vesubio" in Argentinien. Am Tag darauf wurde sie erschossen. 34 Jahre danach wurden jetzt zwei Verantwortliche verurteilt.

Autor/in:
Elvira Treffinger
 (DR)

Mehr als 30 Jahre nach der Ermordung der deutschen Studentin Elisabeth Käsemann in Argentinien verhängte ein Gericht in Buenos Aires am Donnerstagabend (Ortszeit) lebenslange Haftstrafen gegen die früheren Offiziere Héctor Gamen (84) und Hugo Pascarelli (81). Die Anklage umfasste Mord in insgesamt 16 und gewaltsame Entführung in 156 Fällen unter der Militärdiktatur im geheimen Folterlager "El Vesubio" bei Buenos Aires. Fünf ehemalige Gefängniswärter erhielten Haftstrafen zwischen 18 Jahren und 22 Jahren und sechs Monaten.



Für die Schwester der Ermordeten, Eva Teufel, ist das Urteil, auch wenn es nach so langer Zeit kam, eine Frage von Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit. "Erstaunlich war, dass sich nach mehr als 30 Jahren Deutschland doch noch geregt hat", sagte die Ärztin dem epd. "Das war nicht zu erwarten."



Teufel glaubt, dass die Bundesregierung nur auf Druck der Familie, engagierten Privatleuten, kirchlichen Organisationen und Menschenrechtlern tätig wurde, die sich zu einer "Koalition gegen Straflosigkeit" zusammengetan hatten. Der deutsche Staat trat denn auch als Nebenkläger im Vesubio-Prozess auf, der mit hohen Haftstrafen gegen Ex-Militärs und Gefängniswärter endete.



Vater fühlt sich von Regierung im Stich gelassen

Unermüdlich hatte sich die Familie um Aufklärung bemüht. Ermittlungen der deutschen Justiz verliefen jedoch im Sande, Argentinien lehnte Auslieferungsanträge ab. "Ich möchte den Henkern und Militärs nicht das letzte Wort lassen", hatte Elisabeths Vater, der Tübinger Theologe Ernst Käsemann, im Sommer 1977 geschrieben. Hat die Bundesrepublik zu wenig getan, um Elisabeth Käsemann freizubekommen, die zwei Monate in der Gewalt der Folterer war?



Von der damaligen sozialliberalen Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt und Außenminister Hans-Dietrich Genscher fühlte sich der Theologe im Stich gelassen. "Humanität wie Demokratie werden hier bürokratisch verwaltet, und ein verkaufter Mercedes wiegt zweifellos mehr als ein Leben", sagte Ernst Käsemann verbittert, der 1998 starb.



Rund 30.000 Menschen wurden Schätzungen zufolge unter der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983) ermordet. "Die Verhältnisse sind sehr schlecht", schrieb Elisabeth Käsemann bereits im August 1976 aus Buenos Aires an ihre Eltern. "Tausende, von denen man nichts weiß. Konzentrationslager überall, ein Menschenleben ist wenig wert". Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt eine junge Frau mit langen Haaren, schmalem Gesicht und wachen, ernsten Augen.



Versuche, Käsemann zu diffamieren

Käsemann war nach Buenos Aires gegangen, um in Sozialprojekten zu arbeiten und ein theologisches Seminar zu besuchen. In der Nacht zum 9. März 1977 verschwand sie. Obwohl fest verabredet, erschien sie am nächsten Morgen nicht zum Frühstück mit einer Freundin. "Es war klar, dass etwas geschehen war", berichtete die britisch-amerikanische Pastorin Diana Austin-Houston, die damals ebenfalls in Argentinien war. "Wir halfen beide, Verfolgte außer Landes zu bringen, das war unser Widerstand."



Am 2. Juni 1977 meldete eine argentinische Zeitung Käsemanns Tod. Aber erst vier Tage später, nach einem Fußball-Länderspiel zwischen der Bundesrepublik und Argentinien, gab das Auswärtige Amt die Nachricht an die Familie weiter. Hat der blutige RAF-Terrorismus in Deutschland eine Rolle beim Verhalten der Regierung gespielt? Die argentinische Militärjunta jedenfalls versuchte, Käsemann als Terroristin zu diffamieren und stellte einen falschen Totenschein aus. Die Deutsche sei untergetaucht und bei einem Feuergefecht mit Montonero-Guerilleros umgekommen, hieß es.



Doch nach der Überführung der Leiche ergab eine Obduktion in Tübingen Schüsse aus unmittelbarer Nähe in Genick und Rücken, wie bei einer Hinrichtung. In einer Traueranzeige gedachten die Eltern ihrer Tochter: "Von Organen der Militärdiktatur in Argentinien ermordet, gab sie ihr Leben für Freiheit und mehr Gerechtigkeit in einem von ihr geliebtem Lande."