Auch 20 Jahre nach Bischofsmord mahlt Guatemalas Justiz noch

Brutale Beseitigung von Bischof Juan Gerardi

Er war der wichtigste Aufklärer der Bürgerkriegsverbrechen in Guatemala. Dafür musste Weihbischof Juan Gerardi sterben. Er wurde grausam ermordet. Eine umfassende Aufklärung hat die Justiz bis heute nicht fertiggebracht.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Kathedrale von Guatemala-Stadt / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Kathedrale von Guatemala-Stadt / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Die Mörder hatten auf ihn gewartet. Als Weihbischof Juan Gerardi Conedera spät abends in die Garage seines Pfarrhauses im Zentrum von Guatemala-Stadt einfuhr und ausstieg, schlugen sie mit einem schweren Stein auf ihn ein, immer wieder - so sehr, dass man ihn später nur noch auf Grund seines Bischofsrings identifizieren konnte.

Vor 20 Jahren, am 26. April 1998, starb Bischof Gerardi in seinem eigenen Blut - als Märtyrer der Menschenrechte. Bis heute ist der Mord nicht voll aufgeklärt - denn die Mühlen der Justiz mahlen in Guatemala nach eigenen Gesetzen.

REMHI-Bericht

Nur zwei Tage vor dem feigen Mord hatte der Bischof in der Kathedrale der Hauptstadt seine berühmt gewordene Dokumentation "Nie wieder" (Nunca mas) der Öffentlichkeit übergeben. In diesem Bericht zur "Wiedererlangung der historischen Gedächtnisses" (REMHI) wurden 50.000 der mehr als 200.000 Menschenrechtsverbrechen aus dem 36 Jahre dauernden Bürgerkrieg Guatemalas dokumentiert. Gerardi benannte Ross und Reiter - und unterschrieb damit sein eigenes Todesurteil.

Aus dem REMHI-Bericht geht hervor, dass mehr als 90 Prozent der Morde auf Armee, Paramilitärs und Zivilpatrouillen zurückgehen. Für etwa 9 Prozent zeichnete demnach die Guerilla verantwortlich. Allein für die Hochland-Provinz Quiche führt der Bericht für die Zeit des Bürgerkriegs 31.400 Verhaftungen, 13.728 Tote, 2.157 "Verschwundene", 3.207 Fälle von Folter und 4.039 Attentate auf. Auf Entschädigung warten die meisten Opfer bis heute.

Offene Wunde in Guatemalas Kirche

Das Verbrechen ist eine offene Wunde in Guatemalas Kirche. Denn im Gefängnis saßen nur jene, die das schmutzige Geschäft verrichteten: Die Militärs Byron Disrael Lima Estrada (entlassen 2012), sein Sohn Byron Lima Oliva (im Juli 2016 im Gefängnis ermordet) und Jose Obdulio Villanueva (2003 im Gefängnis ermordet) wurden zu je 30 Jahren Haft verurteilt, der Priester Mario Orantes, der sich mit Gerardi die Arbeit in seiner Pfarrei San Sebastian geteilt hatte, zu 20 Jahren; er wurde im Januar 2013 entlassen - wegen guter Führung.

Mit Orantes war mindestens ein Priester, sehr wahrscheinlich sogar ein zweiter - der verstorbene Prälat Efrain Hernandez - in den Mord verwickelt. Vom Tag der Tat an wurden Gerüchte gestreut, die von einem "Verbrechen aus Leidenschaft" unter Homosexuellen bis zu Mordplänen innerhalb der kirchlichen Wahrheitskommission reichten.

Selbst in Kirchenkreisen wurde gemunkelt und gezweifelt. Ihr Ziel der Verunsicherung und Verleumdung erreichten die Informanten aus vermeintlich "gut unterrichteten Kreisen" allemal.

Ein Verfahren gegen 13 Militärs, die als mutmaßliche Hintermänner gelten, ist noch immer anhängig. Ihre Verfolgung schleppt sich lähmend langsam hin in einem Land, das auch nach Ende des Bürgerkriegs weiter von Gewalt geprägt ist. In vielen Straßen der Hauptstadt geben Drogenbosse den Ton an und entscheiden über Leben und Tod; die allermeisten Täter bleiben unbehelligt.

Schachzug von Johannes Paul II. ohne Wirkung

Im August 2017 wurde berichtet, Hollywoodstar George Clooney (56) wirke als Produzent und Sprecher bei einem Dokumentarfilm über die Ermordung Gerardis mit. Unterdessen versucht Guatemalas Kirche unter schwierigen Bedingungen, Gerardis Versöhnungsarbeit zur Überwindung des Bürgerkriegs weiterzuführen: etwa mit Wahrheitskommissionen auf lokaler Ebene, wo während des Bürgerkriegs zahllose Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden, Menschen zu Tausenden verschwanden.

Viele Überlebende der Gewalt haben bis heute nicht geredet. Zu tief sitzen die Traumata von Folter, Mord und Vergewaltigung - oder zu tief das Misstrauen gegen jene Nachbarn, die damals zu den Tätern gehörten.

Ein Schachzug Papst Johannes Pauls II. blieb am Ende ohne Wirkung.

Zum Nachfolger des ermordeten Gerardi als Weihbischof der Hauptstadt berief er ausgerechnet den Bruder des "Schlächters der Indios", Diktator Efrain Rios Montt. Doch auch der Lazaristen-Pater Mario Enrique Rios Montt (86) konnte nicht verhindern, dass sein Bruder bis zu dessen Tod am Ostersonntag 2018 unbehelligt blieb.

Guatemalas Bürgerkrieg (1960-1996)

Der Bürgerkrieg in Guatemala zählt zu den brutalsten Konflikten in der Geschichte Lateinamerikas. Er dauerte 36 Jahre und endete am 29. Dezember 1996 mit dem Abschluss eines Friedensvertrags zwischen rechtsgerichteter Regierung und Rebellenvereinigung URNG. In dieser Zeit wurden Schätzungen zufolge mindestens 200.000 Menschen getötet, 83 Prozent davon Angehörige der indigenen Maya-Bevölkerung. Geschätzt 1,7 Millionen Menschen flohen vor Gewalt und Unterdrückung.

Eine Mitarbeiterin des Nationalen Polizeiarchivs in Guatemala-Stadt archiviert historische Akten des Bürgerkriegs / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Eine Mitarbeiterin des Nationalen Polizeiarchivs in Guatemala-Stadt archiviert historische Akten des Bürgerkriegs / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
KNA