Das Schlimmste war nicht der Tod. Schlimm wäre, das ewige Leben zu verlieren. Solange der irdischen Gerechtigkeit Genüge getan ward, konnte der Delinquent noch immer auf Gottes Barmherzigkeit trauen. Für beides, Recht auf Erden und Hoffnung auf einen gnädigen Gott, stand im Kirchenstaat der Papst. Er war der oberste Richter. Und er hatte einen Henker.
Hinrichtungen besaßen Tradition im päpstlichen Rom
In der lotterlebigen Renaissance suchte Sixtus V. (1585-1590) das Verbrechen mit Null-Toleranz niederzuhalten. Trotzdem hielten sich Exekutionen im Rahmen. Erst in napoleonischer Zeit stieg ihre Zahl: Die Gärungen in Europa erfassten auch den Kirchenstaat. Mit der Inquisition hatten die Prozesse nichts zu schaffen; gewöhnlich ging es um schnöde Mörder und Straßenräuber.
Vielleicht war es einfach der Wunsch nach Sicherheit und Ordnung, der Giovanni Battista Bugatti zum Vollstrecker werden ließ. Eigentlich verkaufte er Schirme, die er in seiner Gasse hinter der Engelsburg schön bunt bemalt hatte. Aber seine Berufung war, der päpstlichen Justiz seinen Arm zu leihen.
Gerade 17 war er beim ersten Mal
Ein Verwandtenmörder in Valentano, er schlug ihn am 22. März 1796 mit einer Keule tot. Der grause Dienst wurde seine Lebensaufgabe. "Meister der Gerechtigkeit", "Maestro di Giustizia" lautete sein Titel, den die Römer zum albernen "Mastro Titta" verballhornten und den Kinder für einen Aufzählreim benutzten: "Sega, sega, Mastro Titta" - "Säge, säge, Meister Titta".
Bugatti galt als Meister aller Klassen: Axt und Knüppel, Vierteilung und Strang, "in jeder Art der Hinrichtung gleichermaßen bewandert", schrieb bewundernd ein Chronist, Alessandro Ademollo. Wenn Richttag war, verließ Bugatti sein Haus im Borgo und schritt im scharlachroten Mantel zur Piazza di Ponte Sant'Angelo, zur Piazza del Popolo oder in die Via dei Cerchi. "Mastro Titta kommt über die Brücke" wurde zum geflügelten Wort dafür, dass bald Köpfe rollen.
Vor allem aber sollte das Blutgericht moralische Lehrstunde sein
Eltern brachten ihre Kinder mit und verabreichten ihnen, wenn der Schlag fiel, eine Ohrfeige. Von 1816 an verloren die Hinrichtungen ihre archaische Brutalität. Bugatti bekam ein Schafott. Es existiert noch heute: Imposante drei Meter hoch, ist es das Prunkstück des kleinen Museo Criminologico, in das sich selten ein Tourist verirrt.
Pius VI. (1775-1799) war auf die Erfindung aus Frankreich anfangs nicht gut zu sprechen, wegen der unseligen Revolution. Erst Pius VII. (1800-1823) ließ sich von der Effizienz und Humanität der Guillotine überzeugen. Als erster starb darunter Tommaso Borzoni, verurteilt wegen Mordes und Raubes, am 2. Oktober 1816. Seither betätigte Bugatti Hunderte Male den Mechanismus.
Mehr als 500 Verurteilte
516 Verurteilte brachte Bugatti im Lauf seines Lebens vor den Ewigen Richter. Jeden einzelnen schrieb er in ein Büchlein. Bugatti war gewissenhaft; er diente einer höheren Gerechtigkeit. Keine Rachsucht, keine Lust am Töten sollte sein Tun beflecken. Nie ging er zu Werke, ohne zu beichten und die Heilige Kommunion zu empfangen. Wie Bugatti die strafende Hand war, so gab es auch eine segnende: Priester und fromme Bruderschaften begleiteten den Delinquenten, Kreuze und Tragaltäre stellten ihm, da er sein irdisches Leben verlor, die Hoffnung auf das ewige vor Augen. Sogar an Gottesdienste zur Verkürzung der jenseitigen Buße dachte man: Während der Hinrichtung gingen Sammelbüchsen für Seelenmessen rund.
Mastro Titta konnte nicht verhindern, dass er zur bizarren Attraktion wurde: Ausländische Reisende wie Lord Byron und Charles Dickens beschrieben ihn teils mit Spott und Befremden. Als er 85 wurde, hatte er über fast sieben Jahrzehnte sechs Päpsten gedient. War die Welt besser geworden? Sein Exekutionsverzeichnis, die "Annotationes", schloss er 1864 mit dem Eintrag: "Hier endet die Liste Bugattis. Möge die seiner Nachfolger kürzer sein."
150 Jahre später
1868 fielen die letzten beiden Köpfe: zwei junge Attentäter auf eine päpstliche Kaserne. Die Jesuiten-Zeitschrift "Civilta Cattolica" schilderte ihren gefassten, von Gebeten begleiteten Tod auf einer Bühne am Circus Maximus als ergreifendes Schauspiel. 150 Jahre später ließ Papst Franziskus im Katechismus festschreiben, die Todesstrafe sei unter allen Umständen unzulässig.