Wohnungslosenhilfe: Zu wenig Räumlichkeiten und finanzielle Sorgen

"Auf Kante genäht"

Zum Tag der Wohnungslosen fordern Hilfsorganisationen mehr Unterstützung von Seiten der Politik. Sie befürchten, dass mit Herbstbeginn und in Folge der Corona-Krise mehr Menschen ihren festen Wohnsitz verlieren. Auch die Caritas schlägt Alarm.

Wohnungsloser Mann auf einer Bank / © Srdjan Randjelovic (shutterstock)
Wohnungsloser Mann auf einer Bank / © Srdjan Randjelovic ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Warum rechnen Sie denn damit, dass die Zahl der Wohnungslosen mit Beginn der kalten Jahreszeit zunehmen wird?

Prof. Ulrike Kostka (Direktorin des Caritasverbandes für das Bistum Berlin): Wir gehen davon aus, dass mehr Wohnungslosigkeit entsteht, weil Menschen einfach in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Auch haben sich viele Menschen in den letzten Monaten, wo gutes Wetter war in der Corona-Zeit, eher nach draußen verzogen. Im Winter ist das nicht möglich, und deswegen gehen wir davon aus, dass sehr viele Menschen die Angebote der Wohnungslosenhilfe in Anspruch nehmen werden.

Gleichzeitig hat aber auch die Wohnungslosenhilfe in Corona-Zeiten große Probleme ihre Arbeit weiterzumachen.

DOMRADIO.DE: Warum werden die Angebote im Winter an Ihre Grenzen stoßen?

Kostka: Ein ganz praktisches Problem ist die Größe der Räume. In unserer Arzt-Ambulanz am Bahnhof Zoo zum Beispiel haben wir begrenzte Räume. Im Sommer konnten wir als Wartebereich den Vorhof nutzen, weil immer nur wenige Personen gleichzeitig reindürfen. Wenn der Winter kommt, haben wir ein großes räumliches Problem, weil wir die Abstandsregeln einhalten müssen. So geht es vielen anderen auch.

Ganz besonders merken wir es in der Kältehilfe, der Not-Übernachtung für Menschen im Winter. Eigentlich können dort 25 Leute übernachten, durch die Abstandsregel aber nur 15. Das sind ganz praktische Probleme, abgesehen von den finanziellen Sorgen, die wir uns machen.

DOMRADIO.DE: Wirft auch in diesem Punkt Corona ein Schlaglicht auf einen Zustand, der eigentlich schon vorher unhaltbar war?

Kostka: Natürlich. Das Thema Wohnungslosigkeit ist ein absolut brennendes Thema, gerade in den Ballungszentren. Die Zahl der wohnungslosen Menschen steigt an und wir haben eine große Wohnungsarmut. Und natürlich war schon vor Corona die Situation sehr schwierig.

DOMRADIO.DE: Woran liegt das denn konkret, dass die Forderungen, die die Wohnungslosenhilfe schon seit langem stellt, immer noch nicht eingelöst sind?

Kostka: Ein Problem ist der mangelnde Wohnraum. Das kann man nicht so schnell verändern. Wir haben aber auch den Eindruck, dass zu wenig klar ist: Wohnungslosigkeit ist nicht nur ein Thema im Winter, sondern das ganze Jahr. Das heißt, die Wohnungsloseneinrichtungen sind oft nicht gut finanziert, hangeln sich von Mund zu Mund.

Corona hat noch einmal gezeigt: Wir brauchen mehr Unterstützung für die Wohnungslosenhilfe. Und wir brauchen natürlich vor allen Dingen auch mehr Wohnungen.

DOMRADIO.DE: Was ist am Tag der Wohnungslosen Ihr Appell an die Politik?

Kostka: Die wohnungslosen Menschen nicht aus dem Blick zu lassen. Natürlich ist ein Gipfel für die Automobilindustrie ganz wichtig. Aber wir brauchen genauso viel Engagement für die Menschen in Wohnungslosigkeit, gerade in den kalten Monaten. Wir brauchen mehr Räume, wir brauchen mehr finanzielle Absicherung der Wohnungslosenhilfe. Wir müssen zum Beispiel auch mehr Mitarbeitende einsetzen, weil wir mehr Abstände einhalten müssen. Der Bedarf wird steigen.

Da wünschen wir uns eine große Aufmerksamkeit der Politik. Und wir hoffen natürlich auch, dass nicht noch Mittel eingespart werden, weil die öffentlichen Haushalte in Schwierigkeiten geraten. Denn in der Wohnungslosenhilfe ist ganz viel auf Kante genäht.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR