Kaum ein Platz ist noch frei im Ostermann-Saal im Sartory. Über 500 Jecke sind am Dienstagnachmittag gekommen, alle wollen zusammen Karneval feiern - auf der Blindensitzung, veranstaltet von den "Muuzemändelcher" - Die Kölner Karnevalisten e.V. 1949.
Der Großteil der Anwesenden ist blind oder sieht nur sehr schlecht. Auch DOMRADIO.DE-Volontärin Nina Odenius hat sich unter die Feiernden gemischt. Nina ist 29 Jahre alt und seit ihrer Geburt blind. "Für mich ist Karneval ein ganz ganz tolles Volksfest, bei dem es darum geht, zu feiern und schöne Stunden zu verbringen", sagt sie vor der Sitzung.
"Wenn ein Publikum hören kann, dann sind es die Blinden"
Auf der Bühne wechseln sich die Rede- und Musikbeiträge ab. Es wird viel gelacht, es wird geschunkelt, getanzt und mitgesungen – so wie auf einer ganz normalen Karnevalssitzung. Willibert Pauels (Ne Bergische Jung) ist unter anderem auf der Bühne mit dabei. Der DOMRADIO.DE-Diakon brachte mit seinen Witzen und Sprüchen das Publikum zum Lachen.
Vor so vielen blinden und sehbehinderten Menschen aufzutreten, ist für ihn auch nicht der alltägliche Job. Er freue sich, wenn er dabei sein dürfe, weil die Atmosphäre eine andere sei: "Wenn ein Publikum hören kann, dann sind es die Blinden", sagt Pauels. "Da habe ich ein Publikum, das auch Atmosphäre spürt."
Im wahrsten Sinne des Wortes zum Anfassen
Es folgt einer der emotionalsten Momente in einer Karnevalssession: Das Kölner Dreigestirn tritt samt Gefolge auf und geht anschließend durch die Reihen. Sie mischen sich unter das feiernde Volk, im wahrsten Sinne des Wortes zum Anfassen. Prinz, Bauer und Jungfrau stehen in ihren Ornaten vor Menschen, die sie gar nicht sehen können, sie aber ertasten und fühlen können.
"Letztendlich sehen diese Menschen mit ihren Händen", sagt Prinz Christian II. im Anschluss. "Wie sie uns abgetastet haben, da bekomme ich jetzt noch Gänsehaut. Das muss man machen, das ist Pflicht. Und ich würde ganz ehrlich auf einen Auftritt im Gürzenich verzichten, um hierhin zu kommen."
"Es ist gut, dass ich das gemacht habe"
Auch Nina darf diese besonderen Momente miterleben. Sie trifft nicht nur das Kölner Dreigestirn. Sie darf den Prinzen, den Bauern und die Jungfrau anfassen. "Es ist gut, dass ich es gemacht habe. Jetzt kann ich mir besser vorstellen, wie die Kostüme aussehen", sagt sie. "Und auf Tuchfühlung mit einem Karnevalsprinzen geht man auch nicht alle Tage."
Für Nina geht ein besonderer Abend zu Ende. Ein Abend mit besonderer Atmosphäre, einer besonderen Stimmung und besonderen Begegnungen. Es gibt an diesem Abend aber noch mehr zu feiern: Der "Blinden- und Sehbehinderten-Verein Köln" feiert in diesem Jahr ein jeckes Jubiläum: Er wurde vor 111 Jahren gegründet.
Dominik Becker