Ausbürgerung war Ursprung der DDR-Oppositionsbewegung - Der Bürgerrechtler Poppe erinnert sich

Biermann war überall

 (DR)

Die Ausbürgerung des kritischen Dichters und Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR am 16. November 1976 war die Initialzündung für die Oppositionsbewegung in der DDR. Sie bestärkte eine Vielzahl junger Menschen, die der SED und ihrer Politik kritisch gegenüberstanden, in ihrer Protesthaltung; davon ist der Bürgerrechtler Gerd Poppe überzeugt.
Biermann selbst hatte mit seinen Texten dazu die Grundlage geschaffen, dass sich dieser Protest artikulieren konnte und eine gemeinsame Basis hatte. „Obwohl er seit den 60er Jahren nicht öffentlich auftreten konnte, waren Biermanns Texte und Lieder überall", erinnert sich Poppe, der seinerzeit als Physiker arbeitete, im Gespräch mit ddp: „Man hatte Bänder, die krächzten und kratzten, und zwischendurch fehlten Worte, weil das alles schon hundertmal überspielt worden war."

„Biermann griff nie den Sozialismus als solchen an"
Viele teilten anfangs noch Biermanns Hoffnung, dass es innerhalb des Systems Reformen und Lockerungen geben werde. „Biermann griff nie den Sozialismus als solchen an, nur den Dogmatismus des Politbüros." So schien auch zunächst die Zeit für Reformen gekommen, als Anfang der 70er Jahre Erich Honecker von Walter Ulbricht die Führung übernahm. Doch schon 1975 „hatte sich der Ton etwa gegenüber kritischen Literaten wieder verschärft", sagt Poppe: „Die Ausbürgerung vertiefte die Desillusionierung und trieb zugleich zum Protest an."

So ging es auch Poppe selbst, der zu Biermanns Freundeskreis gehörte. Keineswegs zum Helden geboren, reagierte er mit einem Protestbrief an Honecker auf die Ausbürgerung: „Ich habe mir nicht vorstellen können, dass ich dazu gar nichts sage." Sein Brief sei „etwas schärfer gewesen" als das bekannte Protestschreiben der arrivierten, staatsnahen Intellektuellen um Stephan Hermlin, das weltweit Schlagzeilen machte, „aber aus heutiger Sicht doch harmlos", sagt Poppe.

Damals war ein solches Schreiben mutig, weil es Folgen haben konnte. Poppe war gerade eine Stelle bei der Akademie der Wissenschaften zugesagt worden - die stand nun nicht mehr zur Verfügung. Eine Begründung wurde ihm nicht genannt: „Vielleicht können Sie sich das ja selbst denken", hieß es nur. „Ich habe dann auch nichts mehr gekriegt", erzählt Poppe. Er hatte lange ein Auskommen als „Maschinist" in Schwimmbädern: Wasserproben nehmen, Wasser aufbereiten, Heizung in Gang halten, Pumpen spülen. Erst sieben Jahre später fand er wieder eine interessante Arbeit im Baubüro des Diakonischen Werks.

Der Druck auf die SED ließ aber nicht nach - im Gegenteil
Ein ähnliches Schicksal erlitten viele, die sich am Protest gegen die Ausbürgerung beteiligt hatten - zum ersten Mal massenhaft, zum ersten Mal auch nicht verschämt und anonym, sondern offen. Der verlängerte Arm der Partei, die Staatssicherheit, griff in ihr Leben ein. Viele resignierten und stellten einen Ausreiseantrag zur Übersiedlung in die Bundesrepublik. Die SED glaubte, Druck ablassen zu können, indem sie zuließ, dass junge Menschen in hoher Zahl die DDR verließen. „Um 1977 verlor ich praktisch meinen ganzen Freundeskreis", sagt Poppe.

Der Druck auf die SED ließ aber nicht nach - im Gegenteil. Es gab genug, die blieben. Wie Poppe: „Ich war da irgendwie zu hartnäckig und dachte, dass ich versuchen müsse, etwas zu ändern." Die Erkenntnis aus dem „Substanzverlust" infolge der Ausreise war auch: „Das wird hier nichts mehr mit Reformen, hier muss etwas anderes her."

Die junge Opposition formierte sich in Gruppen, die in immer größerer Zahl und immer selbstbewusster aus dem Schatten der Anonymität traten. Die internationale Friedensbewegung nahm diese Gruppen ernst, verschaffte ihnen ein Forum und versorgte sie mit Material. Die Grünen-Politikerin Petra Kelly habe seiner Gruppe im Kofferraum ihres Autos „den vermutlich ersten Kopierer gebracht, der in der DDR unkontrolliert betrieben wurde", erinnert sich Poppe.

„Kleine Erfolge"
Wie zuvor nur Biermann und sein engster Freund und Verbündeter, der Bürgerrechtler Robert Havemann, verschaffte sich die junge Opposition Schutz durch die Medienöffentlichkeit im Westen. So kamen Poppes damalige Frau Ulrike und die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley nach sechs Wochen Haft 1983 wieder frei, ohne abgeschoben oder angeklagt zu werden: „Das wäre noch wenige Jahre zuvor nicht denkbar gewesen, wurde dann aber gängige Praxis." Auch dies gehörte zu den „kleinen Erfolgen", die Strahlkraft hatten und Mut machten. „Wir wuchsen durch die Repression, und wir fühlten uns für voll genommen."

Wie sich nach der Wende anhand von Akten herausstellte, befand sich die Staatssicherheit bis zum Schluss in dem Irrtum, das alles werde vom Westen gesteuert. Sie wusste am Ende aber auch, dass es nur einige Hundert aktive Oppositionelle gab, „mit 20, 30 Rädelsführern". „Keiner von denen war zum Revolutionär geboren. Wir haben nur Dinge gemacht, die wir für normal hielten, im Gegensatz zu vielen, die sich das nicht trauten. Wenn wir an die Öffentlichkeit gehen wollten, haben wir das gemacht, und wenn es nicht anders ging, mit unseren eigenen Samisdat-Blättern." „Wir dachten, es gäbe viele mehr, aber dann stellte sich heraus: Wir kannten uns alle." Diese Handvoll Leute schaffte es, bei vielen den Mut zu wecken, selbst endlich aus dem Schatten zu treten - bis sich eine Bewegung formierte, die sich nicht mehr aufhalten ließ.

Havemann starb 1982
Das Tonband mit dem gesprochenen Text war von Havemanns Frau Katja aus seinem Haus in Grünheide bei Berlin an den Stasiwachen vorbei geschmuggelt worden und mit Hilfe befreundeter Journalisten und Diplomaten in den Westen gelangt. Der West-Berliner Soziologe Manfred Wilke, ein Freund und wichtiger Verbindungsmann Havemanns, stellte den Text zu dem Buch zusammen. Es wurde sofort ein Bestseller in der Bundesrepublik, der bundesdeutsche Rundfunk spielte Havemanns Tonband in langen Sendungen auch den DDR-Bürgern vor. Die SED war blamiert, und Havemann hatte wieder einmal in einzigartiger Weise Mut und Standhaftigkeit gezeigt.

Der Hausarrest wurde am 9. Mai 1979 beendet. Da lief bereits ein Verfahren wegen „Devisenvergehen" gegen Havemann, mit dem er kriminalisiert und in den Augen der DDR-Bürger diskreditiert werden sollte. Havemann wurde zur Zahlung eines Strafgelds verurteilt. Er nutzte den Prozess vor dem Kreisgericht Fürstenwalde dazu, die politische DDR-Justiz bloßzustellen, indem er öffentlich nachwies, dass es hier nicht um Zollgesetze ging, gegen die er angeblich verstoßen hatte, sondern allein darum, seine Meinung zu unterdrücken.

Havemann starb 1982 in seinem Haus in Grünheide. Kurz vor seinem Tod legte er gemeinsam mit Pfarrer Rainer Eppelmann mit dem „Berliner Appell" den Grundstein einer unabhängigen, die Grenzen der DDR überschreitenden Friedensbewegung. In seinen letzten Artikeln für westdeutsche Zeitungen nannte er die Wiedervereinigung Deutschlands und die Einigkeit Europas als zwingende Voraussetzungen einer künftigen Friedens- und Freiheitsordnung.