"... Alle wissen auch, dass es Situationen gibt, in denen jeder vernünftige Versuch, eine Ehe zu retten, umsonst bleibt. Der Heroismus eines verlassenen Partners, der alleinbleibt und alleine weitergeht, verdient unsere Bewunderung und Unterstützung. Aber viele verlassene Partner hängen um des Wohles der Kinder willen von einer
neuen Beziehung und einer zivilen Heirat ab, auf die sie nicht verzichten können, ohne neue Schuld auf sich zu laden. Oft lassen diese Beziehungen sie nach den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit neue Freude spüren, oft werden sie sogar als ein Geschenk des Himmels empfunden.
Was kann die Kirche in solchen Situationen tun? Sie kann keine Lösung vorschlagen, die sich von den Worten Jesu unterscheidet oder ihnen zuwiderläuft. Die Unauflöslichkeit einer sakramentalen Ehe und die Unmöglichkeit der Wiederheirat, während der andere Partner noch lebt, ist Teil der Tradition und des bindenden Glaubens der Kirche, der nicht aufgegeben oder gelöst werden kann, indem man ein oberflächliches Verständnis einer Barmherzigkeit zum niedrigen Preis zugrundelegt. Die Barmherzigkeit Gottes ist in letzter Analyse die Treue Gottes gegenüber sich selbst und seiner Liebe. (...) Wegen der barmherzigen Treue Gottes gibt es keine menschliche Situation, die völlig ohne Hoffnung und eine Lösung wäre. Wie tief der Mensch auch fällt, er kann niemals unter die Barmherzigkeit Gottes fallen.
Die Antwort kann nur differenziert ausfallen. Die Situationen sind unterschiedlich und müssen sorgsam unterschieden werden. Eine allgemeine Lösung für alle Fälle kann es folglich nicht geben. (...) Faktisch sind viele Seelsorger davon überzeugt, dass viele religiös geschlossenen Ehen nicht in gültiger Form abgeschlossen werden. In der Tat, als Glaubenssakrament setzt die Ehe den Glauben voraus und die Akzeptanz der charakteristischen Besonderheiten der Ehe oder besser gesagt: der Einheit und Unauflöslichkeit. Können wir in der heutigen Situation davon ausgehen, dass die Brautleute den festen Glauben an das Sakrament teilen und dass sie die kanonischen Bedingungen für die Gültigkeit ihrer Ehe wirklich verstehen und akzeptieren?
Die kirchenjuristische Tätigkeit hat eine tief pastorale Konnotation. Deshalb muss man sich fragen: Was meint pastorale Dimension. Sicherlich keine gefällige Haltung, die eine völlig verfehlte Konzeption wäre, sowohl mit Blick auf die Pastoral wie auf die Barmherzigkeit. (...) Die Pastoral und die Barmherzigkeit stellen sich der Gerechtigkeit nicht entgegen, sondern sie sind sozusagen die höchste Gerechtigkeit, weil sie hinter jedem Verfahren nicht nur einen Fall sehen, den es aus Sicht einer allgemeinen Regel zu untersuchen gilt, sondern eine menschliche Person, die als solche niemals ein Fall sein kann und immer eine einzigartige Würde besitzt. (...) Ist es wirklich möglich, über das Gute und Schlechte eines Menschen in zweiter und dritter Instanz nur auf Grundlage von Akten, also Papier zu entscheiden, aber ohne die Person und ihre Situation zu kennen?
Wenn wir wiederverheiratete Geschiedene von den Sakramenten ausschließen, die bereit sind, sie zu empfangen, und sie auf den Heilsweg außerhalb der Sakramente schicken, stellen wir dann nicht die sakramentale Grundstruktur der Kirche zur Diskussion? Wozu dienen dann die Kirche und ihre Sakramente? Zahlen wir mit dieser Antwort nicht einen zu hohen Preis?
Ein wiederverheirateter Geschiedener 1. wenn er das Scheitern seiner ersten Ehe bereut, 2. wenn er die Verpflichtungen aus der ersten Ehe geklärt hat, wenn es definitiv ausgeschlossen ist, dass er zurückkehrt, 3. wenn er sich nicht ohne weitere Schuld aus den Verpflichtungen gegenüber der neuen, zivil geschlossenen Ehe lösen kann, 4. wenn er sich jedoch bemüht, die zweite Ehe so gut wie irgendmöglich aus dem Glauben zu leben und die eigenen Kinder im Glauben zu erziehen, 5. wenn er den Wunsch nach den Sakramenten als Kraftquell in seiner Situation hat, dürfen oder können wir ihm dann, nach einer Zeit der Neuorientierung (metanoia) das Sakrament der Buße und dann der Kommunion verweigern?"