domradio.de: Was hat Sie dazu gebracht, sich mit den gläubigen Menschen in unserer Gesellschaft zu beschäftigen?
Björn Bicker (Autor und gemeinsam mit Malte Jelden künstlerischer Leiter von Urban Prayers Ruhr): Ich habe mich im Theater und auch literarisch sehr viel mit dem Thema "Migration" und, wie sich unsere Einwanderungsgesellschaft formiert, beschäftigt. Dabei ist mir aufgefallen, dass ein Kernpunkt der Diskussion die Religion ist. Da dachte ich, dass man das zu einem eigenen Projekt machen sollte. Daraufhin habe ich begonnen, verschiedene Religionsgemeinschaften zu besuchen. Mich hat interessiert, wie Gläubige heutzutage in der Gesellschaft, in den Großstädten oder auch untereinander zu Recht kommen. Mich hat dabei die Frage nach dem Zusammenleben mehr interessiert, als die, woran sie glauben.
domradio.de: Sie haben viele Gespräche geführt - haben Sie denn auch Überraschungen erlebt?
Bicker: Vor allem habe ich Überraschungen mit mir selbst erlebt. Der Mensch ist geprägt durch mediale Geschichten und Bilder, zum Beispiel über Religion, über den Islam und das Christentum und auch ich bin mit gewissen Bildern in Gespräche gegangen. In der direkten Begegnung mit den Gläubigen stellt sich das oft ganz anders dar. Ich bin insofern überrascht worden, dass ich als ein Anderer aus der Recherche herausgekommen bin, als ich hineingegangen bin.
Was mich überrascht hat, war tatsächlich, dass ich bei vielen Gläubigen seien es Muslime, seien es Christen unterschiedlichster Gemeinden, seien es auch Angehörige anderer Religionsgemeinschaften Sikhs oder Hindus oder Buddhisten gemerkt habe, dass es immer ein großes Gefühl von Verantwortlichkeit für das Gemeinwesen, für die Welt in der man lebt, gibt. Dass es ein großes Ringen darum gibt, wie können wir positiv in diese Gesellschaft Welt wirken. Das ist natürlich gerade im öffentlichen Diskurs, wenn über Religion gesprochen wird, kommt mir das immer zu kurz. Das wird immer gekoppelt an Probleme, an Gewalt, aber die Realität und die Normalität in den meisten muslimischen Gemeinden ist ja eine ganze andere.
domradio.de: Es herrscht das Bild vor, dass zwischen den Gläubigen der verschiedenen Religionen große Gegensätze existieren. Warum haben Sie diese in Ihrem Stück "Urban Prayers" als Chor dargestellt?
Bicker: Wenn ich eine Recherche beginne, weiß ich noch nicht, in welcher künstlerischen Form ich das schlussendlich darstellen möchte. Ich habe bei dieser Arbeit gemerkt, dass diese Gleichzeitigkeit dieser unterschiedlichen religiösen Ansätze, dieser gläubigen Menschen verschiedener kultureller und ethnischer Herkunft, dass die Perspektiven alle gleichzeitig stattfinden, man sie aber nie gleichzeitig hört. Durch meine Recherche hatte ich das Privileg, die Gleichzeitigkeit wahrzunehmen und das hat sich in meinem Kopf verdichtet. Das ähnelte einem Chor. Die Gläubigen widersprechen sich zwar permanent in gewissen Themen, aber sie bilden eine Gesellschaft und sie leben in Bochum, in Duisburg und in München und müssen gemeinsam klarkommen und eine Gesellschaft bilden. Der Chor ist nicht wie ein antiker, der in einer Stimme spricht, das Geschehen kommentiert und sehr weise ist, sondern es ist ein Chor, der immer aus vielen Stimmen besteht, sich widerspricht und trotzdem als Chor existiert.
domradio.de: Was erzählen Sie dem Publikum?
Bicker: In diesem Chor tauchen ganz viele Geschichten auf. Es werden viele Erlebnisse, wie zum Beispiel Alltagserlebnisse, Erlebnisse mit dem Glauben, aus der Gesellschaft und politische Zusammenhänge erzählt. Diese binden sich im Rahmen von "Urban Prayers Ruhr" und dem Ruhrgebiet ganz eng an die Gemeinden, die den Theatertag beherbergen. Die einzelnen Geschichten, die ich während meiner Recherchen erfahren habe, habe ich zu einer großen Geschichte der Religionen in der Stadt zusammengefügt.
Unsere Wahl fiel auf die religiösen Orte, um eine Möglichkeit der Begegnung zu geben. Der Sinn dahinter ist, ein Treffen von Gläubigen, die sich normalerweise nicht begegnen würden, über ein sinnliches Kunsterlebnis zu schaffen. Das schafft so ein Gesamterlebnis von Aufführung. Es ist nicht nur Theater, sondern auch ein soziales Ereignis.
domradio.de: War es schwer, Gotteshäuser für Ihre Theateraufführung zu finden? Ein katholisches Gotteshaus fehlt ja in dem Reigen.
Bicker: Ich habe die Erfahrung während meiner Arbeit gemacht, dass es überhaupt nicht schwer war, Gotteshäuser zu finden. Am Anfang dachte ich, die Leute sind sicher eher reserviert oder zurückhaltend. Aber das war gar nicht der Fall. Als die Gemeinden unterschiedlicher Religionen gemerkt haben, Mensch, die meinen das ja ernst und interessieren sich wirklich für das, was hier ist, da war die Bereitschaft relativ groß. Danach ist man in die Verhandlungen getreten, um zu klären, was in den Gotteshäusern möglich ist. Ein elementar wichtiger Teil des Projektes. So haben sich die Orte im Ruhrgebiet relativ schnell ergeben. Dass kein katholisches Gotteshaus dabei ist, ist, gar nicht der Abwehr der katholischen Gemeinde geschuldet, sondern das hat sich schlicht in der Auswahl der Orte so nicht ergeben.
domradio.de: Was war Ihr Ziel?
Bicker: Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir als Gesellschaft uns als Ansammlung von Minderheiten begreifen und dass wir lernen, dass es eine Mehrheitsgesellschaft, aus der sich eine Leitkultur ableiten soll, nicht mehr gibt. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es in Zukunft darum geht, die vielen Minderheiten, auch religiöser und ethnischer Natur, zu organisieren und jedem zu seinem Recht zu verhelfen. Da kann man mit so einem Kunstprojekt vielleicht so einen kleinen Tropfen auf den heißen Steinen geben und ein bisschen mithelfen.
Das Interview führte Birgitt Schippers.