DOMRADIO.DE: Warum braucht die Seele Futter?
Jan Frerichs (Gründer und Leiter der Franziskanischen Lebensschule): Ich glaube, weil wir uns in eine Kultur hineingelebt haben, die sehr auf das Äußere fokussiert ist – auf die Kosten-Nutzen-Rechnung.
Das Seelische, das Tiefe, was die Welt und uns im Innersten zusammenhält, gerät dabei etwas in den Hintergrund. Dadurch entstehen ein Hunger, und wir bekommen das Gefühl, dass wir von all dem Äußeren müde und gestresst sind.
Dann versuchen wir Urlaub zu machen und zu schlafen, aber diese Müdigkeit lässt sich nicht von außen heilen, sondern ist eine innere Müdigkeit.
Eigentlich brauchen wir Inspiration und Weite, vielleicht auch mal einen schönen Sonnenuntergang. Wir brauchen ein Bewusstsein dafür, dass wir ein Teil von etwas Größerem sind. Das ist das Seelische, was uns wirklich in der Essenz berührt.
DOMRADIO.DE: Ihr Buch heißt "Seelenfutter: 365 Mal das Leben spüren". Spüren wir das Leben denn nicht mehr?
Frerichs: Das ist genau die Frage. Es ist ein Teufelskreis, weil wir aus dieser Müdigkeit heraus versuchen, etwas Neues zu unternehmen und all diese Fragen im Äußeren zu klären.
Das ist die Weiche, die ich stellen würde: Geh doch mal nach innen; grabe doch mal tiefer; schau doch mal, was alles in dir ist und was du dann noch brauchst. Dazu soll das Buch anregen.
DOMRADIO.DE: Was passiert denn, wenn wir das Leben wieder mehr spüren?
Frerichs: Ob wir es mehr spüren müssen, weiß ich gar nicht. Ich glaube, es ist keine Frage von Quantität, sondern von Qualität. Das bezeichnen wir in der Tradition auch als Mystik: Die Erfahrung vom Verbundensein, dass wir ein Teil sind, dass wir in dieser Welt einen Platz haben und dieses Universum ein freundliches ist. Wenn wir jetzt in die Welt schauen, dann sind wir eigentlich das Gegenteil davon. Man könnte zu dem Schluss kommen: "Oh Gott, wer holt uns hier raus?"
Ich glaube, wir können nichts besser machen, wenn wir diesen Kern nicht wieder berühren. Das ist natürlich ein Abenteuer, und ich weiß es auch nicht mit Gewissheit. Aber wenn du Menschen fragst, die diese Erfahrung machen, dann ist da die Überzeugung: Eigentlich ist das hier ein guter Ort, der von Gott gewollt ist. Wir kommen aus einem Ur-Segen und da gehen wir wieder hin. Wie könnte unser Handeln davon bestimmt werden, wenn wir das nicht mehr erfahren?
DOMRADIO.DE: 365 Tage hat das Jahr und genauso viele Impulse gibt das Buch. Also für jeden Tag im Jahr eine Gedankenanregung in Form von Zitaten oder Fragen. Wie kann ich dieses Buch benutzen?
Frerichs: Es gibt zwei Möglichkeiten, die wir vor Augen hatten. Zum einen kannst du diese Gedankenanregung für dich selbst nutzen und alleine den Fragen folgen. Aber oft haben wir uns selbst gefragt, wo es Menschen in unserer Umgebung gibt, mit denen wir uns können.
Das Buch könnte zum anderen auch eine Anregung sein, um mit anderen in einem größeren Kreis zusammen zu kommen. Dann gehen wir mit der Frage in ein Gespräch, bei dem es nicht um Diskussion geht, sondern darum, einfach unsere Erfahrungen zu teilen.
Wenn wir alle unsere Erfahrungen wie ein Holzscheit in die Mitte legen, dann entfacht sich da ein Feuer, das uns wärmen kann. Ohne dass wir etwas diskutiert oder die Wahrheit festgelegt haben.
DOMRADIO.DE: Wie sehen diese Gedankenanstöße zum Beispiel aus?
Frerichs: Ich finde das hier gut: "Kleine Erinnerung: Du tust genug. Du hast genug. Du bist genug." Und die Frage wäre dann: "Wie gehst du um mit Selbstzweifeln?"
DOMRADIO.DE: Das sind Themen, die jeden Menschen beschäftigen. Ist das bei allen Zitaten so?
Frerichs: Ja. Und es sind auch nur kleine Zitate, Sprüche, Aphorismen. Es ist nicht die Wahrheit in der Nussschale. Natürlich kann man fragen "Tue ich denn wirklich immer genug? Habe ich denn immer genug? Bin ich genug?" Aber was wäre, wenn ich mich mal intensiv mit meinen Selbstzweifeln auseinandersetze? Mit diesem Gefühl nicht genug zu sein, nicht genug zu haben, nicht genug zu tun usw.?
Beschäftige dich mal mit diesem Thema, tauch' da mal ein. Und ich empfehle es sehr, das in einer kleinen Gruppe zu tun. Das sind oft Themen, über die wir im Alltag nie sprechen, die so unter der Oberfläche existieren.
Mein Traum wäre es, dass Menschen mit diesem Buch am Abendbrottisch zusammenkommen, sich ein Thema vornehmen und genau darüber sprechen, was in uns unter der Oberfläche arbeitet.
DOMRADIO.DE: Um so tiefgründig miteinander zu sprechen, braucht es Menschen, denen man vertraut, oder?
Frerichs: Ja, und man braucht ein bisschen Disziplin. In unserer Kultur, die so sehr auf das Äußere und den Nutzen fokussiert ist, neigen wir dazu, zu diskutieren und um die Wahrheit zu ringen. Aber hier geht es gar nicht um die Wahrheit, sondern um persönliche Erfahrung, persönliche Geschichten, vielleicht auch um meine Situation, die ich einfach teile. Auch Ratlosigkeit.
Disziplin in so einem Kreis würde bedeuten, ich lasse das, was der Andere sagt, einfach stehen und schweige darüber, bevor ich es kommentiere oder Ratschläge geben. Wir wollen auch Fragen, die wir haben, nicht wegdiskutieren. In diesen Fragen und in unserem Nichtwissen liegt ebenfalls eine Kraft. Und insofern wäre das ein mystischer Zugang, denn das sind alles Themen der Mystik.
Das Interview führte Dagmar Peters.