Autor Günter Wallraff wird 65 Jahre alt

Der Mann, der Ali Levent war

Auch an seinem 65. Geburtstag am Montag wird Günter Wallraff wieder unerkannt irgendwo in einem deutschen Betrieb arbeiten. Von einem professionellen Theater-Maskenbildner komplett verändert und um Jahre verjüngt ist der Kölner Schriftsteller und Journalist wieder Missständen in der Arbeitswelt auf der Spur. Die Technik, die Wallraff in über 40 Jahren zur Meisterschaft entwickelt hat, sie funktioniert immer noch. Erst vor kurzem sorgten seine Innenansichten aus der Welt der Call-Center im wieder erstandenen "Zeit-Magazin" für Aufsehen.

Autor/in:
Markus Peters
 (DR)

Dabei hatte zunächst wenig auf das folgenreiche politisch-journalistische Engagement des gelernten Buchhändlers hingedeutet. Seine ersten Veröffentlichungen waren Gedichte in der Tradition der deutschen Expressionisten. Einige werden heute noch in Schulbüchern gedruckt.
Sein Schlüsselerlebnis hatte der Pazifist Wallraff als Kriegsdienstverweigerer bei der Bundeswehr. Er war als "Unruhestifter und Zersetzer" in einem psychiatrischen Lazarett untergebracht, um schließlich als "abnorme Persönlichkeit verwendungsunfähig auf Dauer" entlassen zu werden. "In der gesamten Zeit habe ich nicht ein einziges Mal ein Gewehr angefasst", erinnert er sich heute.

Wallraff schrieb seine ersten Reportagen aus der deutschen Industrie. Für seine Projekte schlüpfte der Kölner in die Rolle von Obdachslosen, aber auch in die von Ministerialräten, die den Aufbau illegaler Werkschutzgruppen einfädeln sollten. Immer wieder musste sich Wallraff wegen seiner Recherchemethoden vor Gericht rechtfertigen, die Erfolge seiner Gegenspieler blieben bescheiden.

Wallraff reiste viel, protestierte in Athen gegen Menschenrechtsverletzungen und wanderte für 14 Monate ins Gefängnis. Anschließend recherchierte er verdeckt im Kölner Versicherungskonzern Gerling und lockte den portugiesischen Militaristen Spinoza in eine Falle. "Ich war nicht mehr jemand, der nur beobachten und aufschreiben wollte, ich wollte handeln", sagt Wallraff.

Sein Steckbrief geisterte durch die Personalabteilungen deutscher Großunternehmen. Und dennoch gelang Wallraff sein bis dahin größter Coup. Er arbeitete als Reporter "Hans Esser" bei der "Bild"-Zeitung in Hannover und legte mit dem Buch "Der Aufmacher" eine der bis heute meistdiskutierten medienkritischen Veröffentlichungen vor. Es folgten weitere Bücher über Europas größte Boulevardzeitung, mit der sich Günter Wallraff heute noch beschäftigt.

Im Jahr 1985 veröffentlichte er den Weltbestseller "Ganz unten". Monatelang arbeitete Wallraff als Türke Ali Levent für Leiharbeitsfirmen in Schnellimbissen und in der Schwerindustrie. Seine Reportagen sorgten weltweit für Aufsehen und Erschütterung, Staatsanwälte nahmen die Unternehmen unter die Lupe und auch die Politik interessierte sich nun für die Arbeiter, die am Rande des Existenzminimums schuften mussten.
Unumstritten war er Autor dabei nie. Vor vier Jahren geriet er in den Verdacht, inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen zu sein. Hintergrund der Vorwürfe waren entsprechende Angaben in den sogenannten Rosenholtz-Akten. Der Journalist bestreitet, jemals aktiv für die Stasi gearbeitet zu haben: "Ich wurde umworben, aber eine Anwerbung ist nie erfolgt".

Aktuell sorgt Wallraffs Auseinandersetzung mit der Türkisch-Islamische Union (Ditib) für Aufsehen, die eine vom Schriftsteller angeregte Lesung aus dem umstrittenen Roman "Die Satanischen Verse" von Salman Rushdie auf dem Gelände der Kölner Moschee abgesagt hat. Für diesen Vorschlag waren bereits Morddrohungen auf einer radikal-islamischen Internetseite gegen Wallraff erhoben worden.