Autorin verbindet in Buch Kochen mit Religion und Politik

"Genuss braucht Freiheit"

An diesem Freitag erscheint das Buch "Der Geschmack der Freiheit". Darin zeigt Ute Cohen, wie eng Kulinarik, Religion und Politik zusammenhängen. Im Interview erklärt die Autorin, warum Freiheit durch den Magen geht.

Symbolbild Kochvorbereitungen / © Prostock-studio (shutterstock)
Symbolbild Kochvorbereitungen / © Prostock-studio ( shutterstock )

KNA: In Ihrem aktuellen Buch "Der Geschmack der Freiheit" vertreten Sie die These, dass die Freiheit durch den Magen geht. Wie ist das zu verstehen? Muss man erst frei sein, um das Essen genießen zu können, oder setzt die Erlangung der Freiheit ausreichend Kraft durch stärkende Mahlzeiten voraus?

Ute Cohen, Schriftstellerin, Journalistin und Autorin, am 27. September 2023 in Paris. / © Levia Cohen-Ganouna (KNA)
Ute Cohen, Schriftstellerin, Journalistin und Autorin, am 27. September 2023 in Paris. / © Levia Cohen-Ganouna ( KNA )

Ute Cohen (Autorin): Beides ist der Fall. Wer Zwängen ausgesetzt ist, vermag schwer, zu genießen. Genuss braucht Freiheit. Dass Freiheit kein Kinderspiel ist, sondern regelrecht einen Kraftakt bedeuten kann, setzt voraus, dass man sich auch physisch stärkt. Es verhält sich nicht anders als bei der Liebe, die ja, so der Volksmund, durch den Magen geht. Die menschliche Existenz vom Bauch her zu denken, ist auf jeden Fall ein sinnlicherer Ansatz als die verkopfte Variante. Freiheit als rein geistiges Exerzitium ist ein sprödes Unterfangen. "Der Mensch ist, was er isst", mit Ludwig Feuerbach gesprochen.

KNA: In Ihrem Buch schildern Sie, wie im Umfeld der Französischen Revolution die Restaurants entstanden sind. Warum war diese Synchronizität kein historischer Zufall, sondern ein Symptom der Emanzipation des bürgerlichen Geschmacks?

Cohen: Gesellschaften wandeln sich nicht nur über neue Gedanken. Gefühle wie Angst, Wut oder auch Freude haben eine geschichtsverändernde Kraft. Die drei Grundideen der Französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - mussten verinnerlicht werden. Es reichte nicht mehr, die Mägen zu stopfen, um Aufruhr zu vermeiden. 

Die Revolutionäre wollten sich das ganze Potenzial des Volkes, Herz, Leib und Verstand, zunutze machen. Freiheit zeigte sich als Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Gerichten. Gleichheit zeigte sich an Tischen, an denen es keine Hierarchien gab. Brüderlichkeit bedeutete ein neues Miteinander. Bei Tisch entschied sich der soziale Zusammenhalt. Wenn die Tassen fliegen, hat das freie Individuum versagt.

KNA: Ein wenig ambivalent kommt beim Thema Essen stets die Kirche rüber: Einerseits warnte man stets asketisch vor Genussmitteln und allzu großer Opulenz, andererseits haben die Klöster immer schon das leibliche Wohl im Blick gehabt. Ein Benediktinermönch namens Dom Perignon, schreiben Sie, könnte sogar den Champagner erfunden haben. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Ute Cohen

"Religion ist wie Champagner: Sie braucht Leib und Seele, um zu prickeln."

Cohen: Beim Champagner scheiden sich die Geister. Die Engländer behaupten die Erfindung für sich, die Franzosen ohnehin. Ich neige dem guten alten Dom Perignon zu, denn mit Melasse und Gewürzen hätte er sein edles Getränk nicht vermischt. Da haben sie schon die Antwort auf Ihre Frage! Dom Perignon war Purist und Genießer zugleich. Es war ihm an Perfektion gelegen, und das bedeutet auch Verzicht. 

Wahrer Genuss setzt Formgebung voraus, und darin ist die Kirche ja Spezialistin. Zugleich weiß sie auch um die Gefahr der Maßlosigkeit und versucht diese zu vermeiden. Mit manchmal vielleicht zu strikten Regeln, aber Religion ist wie Champagner: Sie braucht Leib und Seele, um zu prickeln.

KNA: Sie kommen auch auf die heilige Kommunion zu sprechen, die viele Literaten und Maler zu künstlerischen Darstellungen inspiriert hat. Wie deuten Sie, gerade unter dem Aspekt der Sinnlichkeit in der Kulinarik, die in Ihrem Buch eine große Rolle spielt, das vermutlich geheimnisvollste Abendessen der Weltgeschichte?

Cohen: Ich bin kein großer Fan davon, Geheimnisse zu lüften. Die Franzosen haben ein schönes Sprichwort: Chacun son jardin secret. Jedem sein geheimer Garten. Das Geheime zu wahren, hat durchaus seinen Reiz. Andererseits lockt mich auch die Interpretation. 

Die Heilige Kommunion ist eine fantastische Angelegenheit, in vielem Avantgarde! Über die Zunge und den Magen entfaltet sich auch hier etwas Besonderes: Erkenntnis. Im Gedenken an Jesu Abendmahl verinnerlichen wir die christliche Gedankenwelt. Und sind nicht viele Facetten davon Voraussetzung für Freiheit? 

Eucharistiefeier im Frankfurter Dom im Rahmen des Kirchentags 2021  / © Sebastian Gollnow (dpa)
Eucharistiefeier im Frankfurter Dom im Rahmen des Kirchentags 2021 / © Sebastian Gollnow ( dpa )

Besonders beeindruckt mich aber die Idee, dass durch die Kraft der Worte Brot und Wein zu Leib und Blut Christi werden. Katholiken wissen, dass es so einfach nicht ist: Es bedarf auch des Heiligen Geistes und der Kraft Jesu. Das ist weniger naiv, als sich mit dem Zauberspruch "gesagt, getan" zu begnügen.

KNA: Was die Kulturtechniken anbelangt, war die Kirche nicht immer up to date. Sie zitieren Hildegard von Bingen, die gesagt haben soll: "Wer die Gabel statt der Finger benutzt, verhöhnt Gott." Weltfremde Küchentheologie?

Cohen: Küchentheologie, ein reizvolles Wort! (lacht) Dass die Gabel, dieser Dreizack, als teuflisch galt, ist doch ein schöner Hinweis auf die Macht der Symbole in unserer Welt. Immerhin essen heute noch Milliarden Menschen mit den Händen, nach festen Regeln freilich. Essen zu begreifen, auch eine Art, das Denken zu befördern? Hildegard war zumindest mit allen Sinnen dabei, bei Martin Luther war die Gabel schlichtweg weibisches, sinnloses Gezier.

KNA: Wenn man auf moderne Speisetrends schaut, kann man den Eindruck bekommen, dass Moral und Essen immer noch eng zusammengehen. Platt gesagt: Manche Speisen sind böse, andere - zum Beispiel vegetarisch oder vegan - sind gut. Woher rührt diese anhaltende Lust zur Unfreiheit beim Essen? Sollte nicht jeder nach seiner Fasson satt werden dürfen - auch wenn er es auf ungesunde Weise tut?

Ute Cohen

"Vegetarier umgibt ein fast schön religiöser Nimbus."

Cohen: Spontan würde ich mit Ja antworten. Allerdings gilt auch beim Essen, was für die Freiheit gilt: Jeder soll sich frei entfalten, solange kein anderer dabei zu Schaden kommt. Ist das schon der Fall, wenn jemand zügellos bis zur Fettleibigkeit isst? Belastet er dadurch das Sozialsystem? Das sind Fragen, die austariert werden müssten in einer Gesellschaft, aber nicht über Verbote geregelt werden sollten. 

Veggie Days sind nichts anderes als eine säkularisierte Form kirchlicher Nahrungsmittelreglementierung, werden aber ungewöhnlich heftig eingefordert. Vegetarier umgibt ein fast schön religiöser Nimbus. Zur Beichte gehen für Foie gras (Gänsestopfleber)? Das sollte jeder selbst mit seinem Gewissen ausmachen.

KNA: Gerade die Franzosen bilden sich viel auf ihre Kochkunst ein. Dazu gibt es in jedem Land unzählige regionale Küchen. Zeugt es von "identitärer Verengung", wenn man sich an eine nationale oder regionale Küche klammert?

Cohen: Mich amüsiert die französische Koketterie. Ein bisschen verliebt bin ich schon in die französische Küche! In Bayern geboren,genauer gesagt in Franken, weiß ich aber, dass es mehr gibt als Nationen, anderes als Internationales. Küchenchauvinisten sollenbleiben, wo der Pfeffer wächst. Genauso wenig behagt mir aber ein fader Mischmasch. Köstlicher ist es doch, wenn Kochstile sichgegenseitig bereichern.

Das Interview führte Stefan Meetschen.

Quelle:
KNA