Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour stellte jene Frage, die viele Menschen bewegt, wenn sie von inhaftierten Journalisten und Menschenrechtlern hören. "Was ist das für ein Gott, eine Religion, was ist das für ein Land, eine Regierung, die Angst vor der Meinungsfreiheit haben?"
So begann Mansour seine Laudatio auf Ahmet Sik. Der türkische Investigativjournalist wurde am Mittwoch auf der Frankfurter Buchmesse mit dem "Raif Badawi Award for courageous journalists 2017" ausgezeichnet. Er erhielt den Preis in Abwesenheit: Denn seit Dezember 2016 ist Sik in der Türkei inhaftiert.
Preis erinnert an inhaftierten Raif Badawi
Zum dritten Mal verlieh die Friedrich-Naumann-Stiftung den Preis, dessen Name an das Schicksal des saudischen Bloggers Raif Badawi erinnert. Er wurde in Saudi-Arabien wegen "Beleidigung des Islam" zu zehn Jahren Haft, 1.000 Peitschenhieben und einer hohen Geldstrafe verurteilt und sitzt seit fünf Jahren im Gefängnis. In seinem Blog hatte er offene Debatten und Reformen gefordert.
Zwei Länder, zwei Männer, ein ähnliches Schicksal: Sik, geboren 1970, schreibt unter anderem für die regierungskritische türkische Zeitung "Cumhuriyet". Bekannt wurde er 2011 mit dem Buch "Die Armee des Imam" über die Gülen-Bewegung. Es galt in der Türkei als "das gefährlichste Buch des Landes", und noch vor der Veröffentlichung wurde Sik unter dem Verdacht inhaftiert, der angeblichen Putschisten-Organisation "Ergenekon" anzugehören.
2012 wurde Sik zunächst entlassen, ist jedoch seit dem 29. Dezember 2016 wiederum inhaftiert. Diesmal lautet die Anklage, er verbreite in seinen Tweets und Artikeln Terror-Propaganda und beleidige Staatsorgane. Wegen seiner vielbeachteten Verteidigungsrede vor Gericht im Juli dieses Jahres droht ihm am 11. September der nächste Prozess. Die Eingangsworte aus dieser Rede Siks wurden in Frankfurt groß an die Wand projiziert: "Ich verteidige mich hier nicht. Ich klage an."
Stolz auf den Preis
Siks Anwalt Can Atalay nahm die Auszeichnung stellvertretend für seinen Mandanten entgegen. In dessen Namen erklärte er, Sik sei stolz auf diesen Preis: "Aber er tut auch weh." Es sei beschämend, wie Journalisten und Aktivisten unter Druck gesetzt würden. Die heutigen Despoten versteckten sich hinter einer aufgesetzten Religiosität. Die Weltgeschichte habe jedoch gezeigt, dass die einzige Religion, die sich nie verändere, der Faschismus sei. "Diese 'Götter', die glauben, dass ihre Grausamkeit nie endet, sind nicht unbesiegbar", sagte Atalay.
Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) betonte, es sei entscheidend, immer wieder an exemplarische Einzelschicksale zu erinnern. Namentlich nannte er die Journalistin Mesale Tolu, deren Prozess just am Mittwoch in der Türkei begann, und den Menschenrechtler Peter Steudtner. Beide seien ebenso wie Sik und Badawi eingesperrt, weil sie ihre Stimme gegen Unrecht erhoben hätten.
Presse- und Meinungsfreiheit achten
Deutschland sei in diesen Fällen in besonderer Weise gefordert, mahnte Baum: Auch in den beiden deutschen Diktaturen seien Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen getreten worden. In der anschließenden Diskussion räumte der Politiker ein, die diplomatischen Möglichkeiten seien begrenzt - der Schutz der Menschenrechte müsse jedoch stets Teil der Außenpolitik sein. Die Vorstellung, Diktatoren möglichst weit entgegen zu kommen, führe nirgendwo hin.
Mansour verwies zudem auf die aktuelle Situation in Deutschland. Es sei ein hohes Gut, dass die Behörden hierzulande die Arbeit von Publizisten verteidigten. Angesichts von "Lügenpresse"-Rufen und Berichten über Deutschtürken, die als angebliche Gülen-Anhänger eingeschüchtert werden, eine überaus wichtige Anmerkung.
Badawis Ehefrau Ensaf Haidar sagte im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), es mache ihr durchaus Hoffnung, dass in Saudi-Arabien bestimmte Reformen umgesetzt würden, etwa die Fahrerlaubnis für Frauen. Für sie und ihren Mann sei es zudem eine "sehr große Sache", dass der Preis der Naumann-Stiftung immer wieder an ihren Ehemann erinnere. "Das gibt uns viel Hoffnung." Aber, so Haidar weiter: "Ich hoffe jedes Jahr von neuem, dass Raif den Preis im folgenden Jahr persönlich übergeben darf."