Dass Paris allen Völkern gehöre, ja dass "die Menschheit ein Anrecht auf Paris hat", wissen wir schon seit Victor Hugo. In Erinnerung gerufen wurde es beim Großbrand von Notre-Dame vor einem Jahr. Das Paris, das wir bis heute kennen und bewundern, ist zu einem nicht geringen Teil der Arbeitswut und dem Gestaltungswillen eines Mannes zu verdanken: Baron Georges-Eugene Haussmann (1809-1891), Stadtplaner und Modernisierer von Paris. Doch vor 150 Jahren musste er seinen Schreibtisch räumen.
Das neue Jahrzehnt begann nicht gut für den Präfekten des Seine-Departements. Am 5. Januar 1870 berief ihn sein Mentor und Dienstgeber, Kaiser Napoleon III., nach über 16 Jahren treuer und unermüdlicher Arbeit ab - auf Druck der Opposition. Der Vorwurf lautete auf Anhäufen öffentlicher Schulden und auf Vorteilsnahme im Amt. Dass er von Insiderwissen profitiert und sich an öffentlichen Ausschreibungen für die Pariser Großbaustellen beteiligt habe, wurde freilich nie nachgewiesen.
Haussmann ging seinem Vordenker nur wenige Monate voraus; es war das Ende einer Ära. Frankreich verlor im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 die entscheidende Schlacht bei Sedan am 2. September 1870.
Der Kaiser geriet in Gefangenschaft; und in Paris wurde die Dritte Republik ausgerufen. Das Zweite Kaiserreich war beendet. Während Haussmann auch nach seiner Ablösung weiter politisch tätig blieb, unter anderem als Abgeordneter Korsikas (1877-1881), lebt sein Werk der großen Boulevards bis heute weiter und machte weltweit Schule; etwa in Brüssel, Bukarest oder Buenos Aires.
Der Kaiser als Modernisierer
Vordenker der enormen Transformationsprozesse, die Haussmann mit äußerster Entschlossenheit umsetzte, war der Kaiser selbst. Der Neffe Napoleon Bonapartes hatte in seinem Londoner Exil die Modernität einer Metropole des anbrechenden Industriezeitalters erlebt - und er wollte das rückständige, überbevölkerte und von Seuchen geplagte Paris radikal umgestalten: durch den Abriss von Elendsvierteln, die Anlage von breiten Sichtachsen, Ringstraßen, Parks und Grünanlagen, durch neue Bahnhöfe, Rathäuser und Prachtbauten wie Theater und Oper - und nicht zuletzt durch eine flächendeckende Gas- und Wasserversorgung mit über 500 Kilometern Abwasserkanälen und eine Beleuchtung mit Abertausenden Gaslaternen.
Den richtigen Mann zur Umsetzung dieser hochfliegenden Pläne entdeckte der Vertraute Napoleons III., Innenminister Jean-Gilbert-Victor Fialin, Duc de Persigny. Der Regionalbeamte Baron Haussmann, Sohn eines hohen Militärbediensteten und einer pfälzischen Pfarrerstochter, hatte sich seine Sporen als Organisator in der Provinz verdient. Persigny beschrieb den gleichaltrigen Haussmann ehrfurchtsvoll und mit zahllosen Adjektiven: als groß gewachsen, stark, tatkräftig, schlau, verwegen, als eine "faszinierende Persönlichkeit von brutalem Zynismus", als einen von Skrupeln unbehelligten, dickfelligen Kraftprotz.
So einer konnte es schaffen. In gut eineinhalb Jahrzehnten wurden unter Haussmanns Ägide rund 20.000 Gebäude abgerissen und doppelt so viele neu errichtet. Das Gewirr von Gässchen, ja ganze Viertel mussten über 150 Kilometer Straßen und großen Boulevards Platz machen, durch die schon bald der motorisierte Verkehr fließen sollte.
Und auch militärisch war eine solche Stadtanlage besser zu beherrschen, wie die Auseinandersetzung um die Pariser Kommune 1871 bald belegte. Neue Wahrzeichen des Alltags wurden ganze Straßenzüge mit großen Mehrfamilienhäusern, die die bisherige Optik von Bretterbuden und reichen Stadtpalästen ersetzten: mehr Wohnraum mit weit höherem Standard für viele - mit Gestaltungsmodulen wie aus dem Baukasten.
Ladenlokale im Erdgeschoss, darüber Büros, darüber das Luxuswohngeschoss mit schmiedeeisernen Balkonen, dann weitere, weniger vornehme Wohnetagen und schließlich die vorschriftsgemäß mit Zink oder grauem Schiefer gedeckten Einheitsdächer.
Gentrifizierung von 150 Jahren
Im Zuge der Sanierung und Modernisierung beförderte Haussmann auch die Pestilenz und stinkenden Schlote der wildwuchernden Industrialisierung aus dem Stadtzentrum heraus, nach Bobigny, Bagnolet, Drancy, Montreuil, Les Lilas, Le Blanc-Mesnil im Pariser Nordosten. Durch all das wurden freilich die sozialen Probleme in der Hauptstadt keineswegs gelöst. Brummende Bauspekulation und Mietexplosion überforderten die Einkommen der ärmeren Schichten. Das Baufieber verdrängte die einfachen Leute zunehmend an die Stadtränder - Gentrifizierung schon vor 150 Jahren.
Seit der Ära Haussmann ist das Stadtgebiet nicht mehr erweitert worden. Mit 105 Quadratkilometern hat Paris nur ein Fünfzehntel der Fläche Londons und ein Achtel der Fläche von Moskau. Erst 2016 ging nun ein Großprojekt an den Start, das die Stadt bis Ende der 2030er Jahre um 130 Gemeinden der Banlieue erweitern soll. Wo immer das Krakenwesen „Metropole du Grand Paris“ stadtplanerisch hinsteuern wird: Das Haussmann-Paris und "Frankreichs Seele" Notre-Dame werden mittendrin stehenbleiben, als "ein Anrecht der Menschheit".