Bayerisches Dorf stellt sich der Schuld eines Weihbischofs

"Der doppelte Defregger"

Der 1995 verstorbene Münchner Weihbischof Matthias Defregger war als Wehrmachtsoffizier in ein Kriegsverbrechen in Italien verstrickt. Nie wieder fuhr er in das Abruzzen-Dorf. Das holen jetzt Mitbürger nach.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Matthias Defregger (2.v.r.), Weihbischof in München und Freising; Kardinal Julius Döpfner (m.), Erzbischof von München und Freising; während der Bischofsweihe von Defregger / © KNA-Bild (KNA)
Matthias Defregger (2.v.r.), Weihbischof in München und Freising; Kardinal Julius Döpfner (m.), Erzbischof von München und Freising; während der Bischofsweihe von Defregger / © KNA-Bild ( KNA )

Am Pfingstmontag bricht der Pöckinger Bürgermeister Rainer Schnitzler mit einer Gemeinderatsdelegation zu einer Reise nach Italien auf. In den Abruzzen wollen die Oberbayern am Gedenken an ein Massaker teilnehmen, das deutsche Soldaten dort am 7. Juni vor 78 Jahren verübten und 17 Männer das Leben kostete. In Filetto di Camarda ist das schreckliche Ereignis mit einem Namen verknüpft, der in Pöcking ein Straßenschild schmückt: Matthias Defregger.

Defregger war Hauptmann der Wehrmacht

20 Jahre ist Schnitzler nun schon Rathauschef in der Gemeinde am Starnberger See. Bis vor Kurzem hat sich niemand über den "Weihbischof-Defregger-Weg" aufgeregt, der seit 1997 so heißt und von der Hauptstraße zum neuen Friedhof führt. Defregger lebte bis 1995 in Pöcking als angesehener Mitbürger und geschätzter Seelsorger, Schnitzler hat noch bei ihm ministriert - und das durchaus gern, wie er erzählt.

Die Historikerin Marita Krauss (l.) und Rainer Schnitzler, Bürgermeister von Pöcking, vor dem Straßenschild des Weihbischof-Defregger-Wegs. / © Christoph Renzikowski (KNA)
Die Historikerin Marita Krauss (l.) und Rainer Schnitzler, Bürgermeister von Pöcking, vor dem Straßenschild des Weihbischof-Defregger-Wegs. / © Christoph Renzikowski ( KNA )

Dass der Kirchenmann einen dunklen Fleck in seiner Vita hatte, war den Pöckingern bekannt. Seine Beteiligung als Hauptmann der Wehrmacht an einem Erschießungskommando wurde allerdings so erinnert: Es war Krieg, Partisanen hatten einen deutschen Dorfposten überfallen, zur Vergeltung wurde Defreggers vorbeikommender Einheit der Befehl erteilt, alle männlichen Bewohner Filettos zu liquidieren. Hätte er sich widersetzt, wäre der Offizier mit erschossen worden.

Es ist die Version, die auch die Münchner Staatsanwaltschaft 1970 der Einstellung ihrer Mord-Ermittlungen gegen Defregger zugrunde legte. Die Anklagebehörde sah seine strafrechtliche Unschuld als erwiesen an. Vorausgegangen war ein internationaler Skandal, nachdem der "Spiegel" im Sommer 1969 in Filetto mit Hinterbliebenen gesprochen und den "Fall Defregger" auf den Titel gehoben hatte. Als die Justiz ihn zu den Akten legte, verstummte auch die erregte Debatte wieder.

Keine öffentlichen Zeichen der Reue bekannt

Die Berufung auf einen angeblichen Befehlsnotstand erscheint heute angesichts militärhistorischer Forschungen in einem neuen Licht. Kein einziger deutscher Exekutionsverweigerer - und die gab es - wurde selbst "an die Wand gestellt", nicht einmal bei der SS. Für den heute in Köln lehrenden italienischen Historiker Carlo Gentile, der ein Standardwerk über Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Italien verfasst hat, steht fest: Defregger war zumindest ein Mittäter.

Auf dem Höhepunkt des Skandals rechtfertigte sich der Weihbischof so: Die Kriegsereignisse lasteten schwer auf ihm, juristisch oder moralisch sei ihm aber nichts vorzuwerfen.

Nach dem Krieg hatte Defregger Theologie studiert und sich zum Priester weihen lassen. Seinen Vorgesetzten beichtete er frühzeitig, was er als Soldat getan hatte. Von den Hinterbliebenen der Vergeltungsaktion jedoch hielt er sich zeitlebens fern. Nach 1969 setzte er nie wieder einen Fuß nach Italien. Von irgendeinem Zeichen der Reue seinerseits ist in Filetto nichts bekannt - bis auf den heutigen Tag.

Reise soll Geste der Versöhnung sein

Als Schnitzler vor zwei Jahren über diese Hintergründe durch einen Bericht der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erfuhr, beauftragte er die in Pöcking ansässige Augsburger Geschichtsprofessorin Marita Krauss mit vertieften Recherchen. Diese bestätigten den KNA-Bericht im Wesentlichen.

Defregger habe als Kirchenmann seine soldatische Vergangenheit komplett abgespalten. So deutet die Historikerin ihren Befund. Wie sonst hätte er noch Buße und tätige Reue predigen können? Andererseits: Den Kontakt zu seinen alten Kriegskameraden habe er weiter intensiv gepflegt.

Im Pöckinger Rathaus ist man enttäuscht, dass es Defregger zu Lebzeiten nicht vermocht hat, eine Geste der Versöhnung zu setzen. Das will der Gemeinderat mit seiner Reise nun nachholen.

Krauss hat kürzlich Post vom Bundespräsidenten erhalten. Von den deutschen Verbrechen in Italien sei hierzulande noch immer viel zu wenig bekannt, schreibt Frank-Walter Steinmeier. "Aber die Opfer, ihre Nachfahren und die Überlebenden haben ein Recht darauf, nicht vergessen zu werden. Deshalb sind das Erinnern und Gedenken so wichtig und deshalb danke ich Ihnen und der Gemeinde Pöcking vielmals für Ihre wichtige Initiative."

Gut möglich, dass der "Weihbischof-Defregger-Weg" bald umbenannt wird. Das Gedächtnis an ihn werde man in Pöcking aber keinesfalls tilgen, betont Krauss. Er soll von nun an jedoch als "der doppelte Defregger" in Erinnerung bleiben. So wie in Filetto di Camarda, wo er auf einer Infotafel verewigt ist: als Wehrmachtshauptmann, der später Weihbischof wurde.

Quelle:
KNA