DOMRADIO.DE: Drei Tage lang haben 200 Helfer ein Gipfelkreuz auf die Benediktenwand in den Bayrischen Voralpen gehievt. Haben Sie Muskelkater vom Wochenende?
Anton Ortlieb (Bürgermeister von Benediktbeuern): Ein bisschen tatsächlich, weil der Transport über mehrere Tage ging. Ich war von den drei Tagen an zwei Tagen am Berg dabei und habe das begleitet.
DOMRADIO.DE: Wie groß und wie schwer ist denn dieses Kreuz?
Ortlieb: Das Kreuz insgesamt ist 1,4 Tonnen schwer. Der Längsbalken misst 9,80 Meter und der Querbalken 4,80 Meter. Die beiden Balken wurden getrennt voneinander hochgebracht, aber insgesamt wiegen sie 1,4 Tonnen.
DOMRADIO.DE: Das Gipfelkreuz wurde sehr steile Hänge hochgetragen auf eine Höhe von bis zu 1800 Meter. Wie schwierig war das?
Ortlieb: Das war schon eine echte Herausforderung. Es ging querfeldein, also nicht über befestigte Wege, dafür ist der Stamm zu lang. Es wurde mit dem Seilzug von oben gezogen und von unten geschoben. So hat man sich durch das Gelände gekämpft, mit voller Überzeugung und Kraft.
DOMRADIO.DE: Sie hätten sie auch mit dem Helikopter hochbringen lassen können. Warum der Fußmarsch?
Ortlieb: Gemacht haben wir das, weil im Jahr 1958, also vor 65 Jahren, genau dasselbe Kreuz mit den gleichen Ausmaßen mit Muskelkraft hochgebracht wurde. Deshalb haben wir gesagt, das wollen wir auch wieder erreichen, um den Gemeinschaftssinn zu stärken. Das ist uns am Wichtigsten an der ganzen Aktion gewesen.
Mit dem Hubschrauber können weniger Leute mitmachen und es hat nicht diesen Gemeinschaftssinn, den man da erlebt hat. Der ist unbeschreiblich.
DOMRADIO.DE: Die Tradition der Gipfelkreuze gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert. Wie ist das erste Kreuz auf die Benediktenwand gekommen?
Ortlieb: Von der Geschichte her hat sich das so zugetragen: 1876 haben Holzfäller am Berg ihre Arbeit verrichtet. Die Berge und die Holzstämme wurden gesammelt. Dann gab es einen vorzeitigen Wintereinbruch mit starkem Schneefall. Damit war praktisch der ganze Jahreslohn in Gefahr, weil man den Holzverkauf nicht tätigen konnte.
Also hat man ein Gelübde abgelegt. Wenn der Schnee vorher noch weg käme, dann würde man im Folgejahr ein Kreuz auf die Benediktenwand stellen. Und wie man sehen kann, hat es sich so zugetragen. Es kam dann noch mal ein Wärmeeinbruch. Der Schnee ging so weit zurück, dass man das Holz ins Tal bringen konnte.
Im Jahre 1877 hat man dann das Gelübde eingelöst.
DOMRADIO.DE: Religion hat damals also eine Rolle gespielt. Wie war das jetzt bei diesem Kreuz?
Ortlieb: Wir sind ein Klosterdorf, sagen wir immer stolz, und sind da christlich verwurzelt. Das macht den Grundgedanken aus. Und was die Spiritualität angeht - egal, ob man jetzt in der Kirche ist oder gläubig ist - in dieser Gemeinschaft hat alle bewegt, als wir das Vaterunser mit 200 bis 300 Leuten am Gipfel gebetet haben, weil alles unfallfrei vonstatten ging.
Da ist es jedem kalt über den Rücken gelaufen und alle waren mächtig stolz. Insofern ist jeder, der weniger mit Gott verbunden ist, mit dem Berg verbunden und damit auch mit dem Gipfelkreuz. Für jeden, der christlich geprägt ist, ist das eher ein christliches Symbol und eine schöne Sache, wenn man dem Herrgott vielen Dank sagen kann, dass es uns so gut geht.
DOMRADIO.DE: Derzeit sind Gipfelkreuze nicht überall gerne gesehen. Der Alpenverband Club Alpino Italiano fordert, bestehende Kreuze aus Respekt vor anderen Kulturen zu entfernen. Können Sie das nachvollziehen?
Ortlieb: Das kann ich nicht nachvollziehen. Besonders in Bayern kann man das nicht nachvollziehen, weil es da die "Liberalitas Bavariae" gibt, was also leben und leben lassen bedeutet. Das hat mit dem Grundgefühl zu tun. Wir akzeptieren, was andere machen und andere haben auch zu akzeptieren, was wir machen. Das muss man so sehen.
Das Gipfelkreuz hat ja eine Geschichte. Für den einen ist es das Ziel einer langen Bergtour, damit auch Orientierungspunkt; für den anderen ist es die tiefe Demut und Dankbarkeit, dass man am Gipfel das Ziel erreicht hat und dem Herrgott "Danke" sagt. Da kann jeder für sich was rausziehen.
Wenn wir in Nepal unterwegs sind oder in Tibet im buddhistischen Bereich, da werden auch Götter dargestellt oder Gebetsfahnen aufgehangen. Das akzeptiert und respektiert man genauso.
Das Interview führte Heike Sicconi.