DOMRADIO.DE: Für die katholische Kirche ist ganz klar: Die Hostie ist nach der Wandlung der Leib Christi, einige andere Konfessionen sehen im Gottesdienst eher eine Art Erinnerungsmahl. Warum schließen diese Unterschiede es aus, dass man beim jeweils anderen Brot und Wein empfangen darf?
Dr. Burkhard Neumann (Direktor des Johann Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn): Das Grundproblem in einer Verständigung über Eucharistie und Abendmahl ist ja, dass dieses "Herrenmahl", wie Paulus es im Neuen Testament nennt, für fast alle Kirchen eine ganz zentrale Bedeutung hat und dass man dann natürlich übereinstimmen muss im Kern dessen, was da gefeiert wird: Dass wir dann, wenn wir das Gleiche tun, auch im Wesentlichen das Gleiche darunter verstehen. Das gilt in vielen anderen Bereichen unseres kirchlichen Lebens ja auch. Und es ist so, dass die Unterschiede zwischen den Konfessionen teilweise sehr groß sind.
Es gibt Kirchen, vor allem im freikirchlichen Bereich, die das Abendmahl tatsächlich als reines Erinnerungsmahl sehen. Aber neben der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche geht auch das lutherische Bekenntnis davon aus, dass dieser Jesus Christus nicht nur in der allgemeinen Feier gegenwärtig ist, sondern sich auch noch einmal in einer ganz besonderen Dichte und Nähe in den Abendmahlsgaben von Brot und Wein schenkt.
Der Fachausdruck dafür ist "Realpräsenz" und bedeutet, dass Jesus dort wirklich für uns Menschen gegenwärtig ist. Das ist dann natürlich schon ein Unterschied im Verständnis dieses Herrenmahls, ob ich es als reines Erinnerungs- oder Gedächtnismahl verstehe oder ob ich davon ausgehe, dass Christus mir darin, in diesen Gaben von Brot und Wein, wirklich ganz nahe kommt.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie sagen auch, das Verständnis muss da schon genau übereinstimmen. Man könnte ja auch sagen: Wir nennen es doch auch ein Geheimnis – da können unterschiedliche Verständnisse vielleicht einfach bestehen bleiben?
Neumann: Das ist genau die wichtige oder spannende Frage in der Ökumene: Wieviel Unterschiede sind möglich? Und in welchen Punkten muss ein Kern von Gemeinsamkeit, von Einheit bestehen? Das jenseits der Verurteilung in früheren Zeiten, sondern basierend auf einer erneuerten Lektüre der Heiligen Schrift, auf einer erneuerten Lektüre der eigenen Bekenntnisse genauer zu bestimmen, ist genau die Aufgabe der Ökumene. Da stehen wir auch im ökumenischen Dialog über Abendmahl und Eucharistie, um genau das herauszufinden: Wo muss Gemeinsamkeit und Einheit sein und wo kann es durchaus Verschiedenheiten und Unterschiede geben?
DOMRADIO.DE: Es gäbe ja auch noch die Möglichkeit der persönlichen Gewissensentscheidung des Einzelnen. Aber der Vatikan schließt die in seinem neuen Text explizit aus. Was wäre so schlimm, wenn eine einzelne Katholikin oder ein einzelner Katholik beim evangelischen Abendmahl dabei ist und dort Brot isst?
Neumann: Aus evangelischer Sicht gar nichts. Die evangelische Kirche geht davon aus, dass jemand, der getauft ist und glaubend am Abendmahl teilnimmt, auch dazu zugelassen wird. Von katholischer Seite würde ich sagen, dass diese Gewissensentscheidung selbstverständlich respektiert werden muss und respektiert wird. Das hat beispielsweise auch die Gemeinsame Synode der deutschen Bistümer in den 1970er Jahren sehr deutlich gesagt: Wir respektieren es, wenn Menschen ihre persönlichen Gründe haben, am evangelischen Abendmahl teilzunehmen.
Die Synode hat dann gewisse Bedingungen gemacht, die besagen, dass man sich nicht von seiner eigenen Kirche entfremden soll. Aber das tun solche Leute ja in der Regel auch nicht. Von daher respektiere ich die Gewissensentscheidung des Einzelnen selbstverständlich.
Das enthebt aber die Kirchen und die ökumenischen Theologen natürlich nicht davon, genauer danach zu suchen, dass es eben nicht nur der Gewissensentscheidung des Einzelnen überlassen bleibt, sondern dass wir zu einer wechselseitigen Zulassung kommen und irgendwann hoffentlich dann auch eine gemeinsame Feier der Eucharistie und des Abendmahls möglich sein wird.
DOMRADIO.DE: Diese wechselseitige Teilnahme schlägt auch der ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen in seinem Votum aus dem vergangenen Jahr vor. Auf diesen Text hat der Vatikan mit seinem Schreiben jetzt reagiert. Was bedeutet diese Antwort denn für den Ökumenischen Kirchentag im nächsten Jahr?
Neumann: Im Vorfeld des Ökumenischen Kirchentages 2021 wird natürlich über dieses Votum bereits diskutiert und man wird - soweit ich das beurteilen kann - sicherlich versuchen, eine wesentliche Voraussetzung dieses Textes des ökumenischen Arbeitskreises zu erfüllen. Der knüpft nämlich an beide Seiten Bedingungen, indem er sagt: Bitte feiert evangelisches Abendmahl oder katholische Eucharistie an bestimmten Punkten so, dass Anfragen oder Bedenken der anderen Seite berücksichtigt werden. Das wird, denke ich, sicherlich bei den konfessionellen Abendmahls- und Eucharistiefeiern, die wohl im nächsten Jahr am Samstagabend des Kirchentages stattfinden sollen, auch geschehen.
Das halte ich auch für sehr wichtig, dass man das, was im ökumenischen Gespräch an Anfragen und Bedenken von der jeweiligen anderen Seite kommt, ernst nimmt und sich fragt: Feiern wir als Katholiken Eucharistie so, dass bestimmte Missverständnisse, die die evangelische Seite sehen könnte, ausgeschlossen werden und umgekehrt.
Das Interview führte Verena Tröster.