Die überraschend deutliche "6 zu 3"-Entscheidung des US-Verfassungsgerichts zum Diskriminierungsverbot von sexuellen Minderheiten am Arbeitsplatz alarmiert konservative Kirchenführer in den USA.
Bischofskonferenz in Sorge
Von der katholischen Bischofskonferenz über den Ethikrat der Southern Baptist bis hin zu den Evangelikalen wird die Sorge vor weitreichenden Konsequenzen des Urteils für die Religionsfreiheit geteilt. Dabei ging es in dem Verfahren vor dem Supreme Court ausdrücklich nicht um eine Abwägung der Selbstbestimmung religiöser Gemeinschaften mit den Grundrechten von Individuen im Rahmen der Verfassung.
Paragraf 7 des "Civil Rights Act" von 1964 verbietet eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Die Anwälte der Kläger argumentierten in den beiden Fällen "Bostock v. Clayton County" und "Altitude Express Inc. v. Zarda", der Gesetzgeber habe lediglich Frauen oder Männer vor Diskriminierung am Arbeitsplatz schützen wollen.
Der konservative Verfassungsrichter Neil Gorsuch schrieb für die Mehrheit, die Entscheidung sei eindeutig. "Ein Arbeitgeber, der jemandem kündigt, weil er homosexuell oder transgender ist, tut das wegen Eigenschaften oder Handlungen, die er bei Angehörigen einer anderen Sexualität nicht infrage stellt."
Dass ausgerechnet der von Präsident Donald Trump berufene Richter Gorsuch eine so klare Position in der Mehrheitsmeinung bezog, schockte viele Konservative, die sich für dessen Nominierung eingesetzt hatten. Der Rechtskatholik Rod Dreher etwa meint, es falle schwer, "das Ausmaß dieser Entscheidung und die Größe der Niederlage" zu übertreiben. Damit sei der für religiös-konservative der letzte Grund verloren gegangen, die Zähne zusammenzubeißen "und Trump zu wählen".
Erzbischof Jose Gomez meldet sich zu Wort
Der Präsident der katholischen Bischofskonferenz, Erzbischof Jose Gomez, der sich mit öffentlichen Stellungnahmen zu Ereignissen gewöhnlich Zeit lässt, reagierte prompt auf das Urteil. "Ich bin zutiefst besorgt darüber, dass der Oberste Gerichtshof die rechtliche Bedeutung von 'Geschlecht' im Bürgerrechtsgesetz unserer Nation effektiv neu definiert hat."
Die Entscheidung habe weitreichende Auswirkungen für viele Lebensbereiche, so Gomez. Er sprach von einer "Ungerechtigkeit". Die US-Bischofskonferenz befürchtet ein Untergraben ihrer "religiösen und moralischen Überzeugungen" und damit eine Einschränkung ihrer Religionsfreiheit.
Der Chefredakteur des Jesuiten-Magazins "America", James Martin, widerspricht dem Bischofskonferenz-Vorsitzenden. "Katholiken dürfen sich über die Entscheidung des Obersten Gerichts freuen," so der populäre Buchautor, "die Diskriminierung von LGBTQ-Angehörigen verbietet".
Volle Unterstützung erhielt Erzbischof Gomez dagegen vom Vorsitzenden des Ethikrates der Southern Baptist, Russell Moore. Die Entscheidung mache es schwieriger für religiöse Arbeitgeber, nach ihren Überzeugungen zu verfahren. "Das Urteil wird seismische Auswirkungen auf die Religionsfreiheit haben", so Moore, der "Jahre an Prozessen und Gerichtsstreitigkeiten" erwartet.
Auch Evangelikale in Sorge
Der Evangelikale Franklin Graham fürchtet ebenfalls eine Erosion der Selbstbestimmungsrechte der Kirchen. "Christliche Organisationen sollten nicht gezwungen werden, Leute zu beschäftigen, die nicht ihre biblischen Ansichten teilen." Genauso wenig sollten sie gehindert werden, "eine Person zu entlassen, deren Lebensstil und Glaube Ziele und Zwecke des kirchlichen Dienstes unterminiert".
Applaus erhielten die Richter von der Organisation "Americans United for Separation of Church and State", die sich für die Trennung von Staat und Kirche einsetzt. "Religionsfreiheit ist ein Schild, das schützt, kein Schwert, das eine Lizenz für Diskriminierung gibt", meint die Vorsitzende Rachel Laser.
Die Republikanische Partei reagierte weitgehend gelassen auf das Urteil. Es sei wichtig anzuerkennen, dass alle Amerikaner durch die Verfassung die gleichen Rechte haben", so Deb Fischer, gewöhnlich eine Wortführerin der Sozialkonservativen im Senat. Kritik an Richter Gorsuchs Entscheidung weist sie wie viele ihrer Kollegen zurück. Sie sei "einverstanden damit".