Die Stille als klösterliches Prinzip im Lauf des Jahres

Beginn in großer Ruhe

Klosterleben fasziniert viele Menschen, auch weil es so unterschiedlich zum eigenen Alltag ist. Eines von verschiedenen klösterlichen Prinzipien ist die Stille. Aber auch im Kloster beginnt der Tag mit dem Wecker.

Autor/in:
Kerstin-Marie Berretz OP
Kreuzgang in der Vorhalle des Zisterzienserklosters Maulbronn / © Carolin Riechmann (KNA)
Kreuzgang in der Vorhalle des Zisterzienserklosters Maulbronn / © Carolin Riechmann ( KNA )

Natürlich lassen sich auch Ordensleute in der Regel von einem Wecker wecken - kein Radiowecker, sondern ein Wecker, der piept, klingelt oder summt. Darüber hinaus ist die Stille das prägende Geräusch am Morgen. Und das ist wunderschön, denn so beginnt ein Tag ganz anders, als wenn man beim Aufwachen mit halbem Ohr schon die neuesten Nachrichten, den tollsten Song oder die immer gleiche Werbung hört.

Stattdessen gibt es da eine Ruhe, die einen erst einmal langsam im neuen Tag ankommen lässt. Dieses Ankommen kann bis zu zwei Stunden dauern. Denn, je nach Orden, wird mitunter erst nach dem Frühstück überhaupt miteinander gesprochen. Davor verbringen die Ordensleute Zeit im persönlichen Gebet, beten zusammen das Morgengebet, feiern die Messe und frühstücken schweigend zusammen.

In der Stille für Gott öffnen

Und das macht den besonderen Reiz aus: Man beginnt den Tag gemeinsam - schließlich leben Ordensleute gemeinsam im Kloster und suchen auch die Gemeinschaft. Aber jede und jeder beginnt zugleich für sich selber. Zwar hört man die Geräusche der anderen: das Gluckern des Wasserhahns nebenan, die Schritte auf der Treppe und natürlich die anderen beim Beten. So weiß man gleich nach dem Aufwachen, dass man nicht alleine ist.

Zugleich hat man auf diese Weise die Möglichkeit, den Tag mit dem zu beginnen, der jeden am Morgen neu ins Leben ruft: mit Gott. Für ihn kann man sich in der Stille allmählich öffnen und sich auf ihn hin ausrichten.

Gut für Morgenmuffel

Viele Ordensleute beginnen ihren Tag noch vor dem gemeinsamen mit einem persönlichen Gebet, der Meditation, der stillen Zeit. Damit richten sie sich zu Beginn des Tages neu aus auf Gott, der sie liebt und sie in seine Nachfolge gerufen hat. Sie richten sich aus auf den, zu dem sie in der Profess ganz ja gesagt haben. Das geht in der morgendlichen Stille am besten, weil Gott - wie Elijah es am Berg Horeb erfahren hat - im leisen Säuseln kommt.

Es gibt aber auch noch einen ganz menschlichen Vorteil, wenn man den Tag in und mit Stille beginnt - vor allem für diejenigen, die am Morgen vielleicht noch nicht ganz so fröhlich sind. Wenn alles noch still ist und trotzdem den eingespielten Routinen folgt, dann muss man als Morgenmuffel noch nicht kommunizieren. Das macht den Morgen oft leichter und entspannter.

Vergessen wir nicht: In einer Klostergemeinschaft leben Menschen zusammen, die sich einander nicht ausgesucht haben, sondern gemeinsam Gott suchen. Da kann es sein, dass man gleich am frühen Morgen einer Mitschwester oder einem Mitbruder begegnet, mit der oder dem man nicht direkt befreundet ist. Wie angenehm ist es da, wenn ein freundlicher Blick oder ein kleines Nicken als morgendlicher Gruß ausreicht. Das schafft noch jeder - und man kann den Tag gemeinsam und friedlich beginnen. Was für ein Segen!

Festes Gefühl der Gemeinschaft

Ein Segen ist es auch, Teil der stillen, morgendlichen Abläufe zu sein und einzuschwingen in die immer gleichen Routinen, die wegen nicht jeden Morgen neu ausdiskutiert werden müssen. Stattdessen bilden die immer gleichen Handlungen ein festes Gefühl der Gemeinschaft, das wortlos trägt.

Und hier kann eine ganz besondere Nähe entstehen, wenn einem ebenso wortlos etwas Gutes widerfährt. Wenn einem beim Frühstück die Lieblingsmarmelade zugeschoben wird oder man schon vor der Laudes eine Tasse Kaffee gereicht bekommt. Zuneigung lässt sich auch ohne Worte ausdrücken.

In die Stille einüben

Und das ist vielleicht schon das große Geheimnis der Stille: Zuneigung und Liebe brechen sich auch ohne Worte Bahn. Das gilt in der Beziehung mit Gott, die ihre exklusive Zeit braucht und gepflegt werden will, das gilt aber genauso für die Gemeinschaft von Schwestern oder Brüdern. In der Stille werden die kleinen Zeichen sichtbarer.

So ist die morgendliche Stille auf keinen Fall peinlich oder unangenehm, sondern ein wunderbarer Rahmen, um in Gemeinschaft und als Gemeinschaft den neuen Tag zu beginnen. Es lohnt sich, sich in die Stille einzuüben und nicht direkt loszusprudeln. Was wichtig ist, kann später gesagt werden. Alles andere darf in der Stille bleiben.


Die einzelnen Elemente des Stundengebets geben bei den Karmelitinnen die Struktur des Tages vor / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die einzelnen Elemente des Stundengebets geben bei den Karmelitinnen die Struktur des Tages vor / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die langen Gänge und die Spitzbogengewölbe sind typisch für einen Klosterbau / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die langen Gänge und die Spitzbogengewölbe sind typisch für einen Klosterbau / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
KNA