Sie sind in ihrem Leben stets geflohen, weggelaufen um zu überleben. Am Freitag (5. August) werden Popole Misenga und Yolanda Bukasa befreit ins Stadion in Rio de Janeiro einlaufen können. Zu den Olympischen Sommerspielen hat das IOC erstmals ein Team heimatloser Athleten zugelassen. Die zehn Auserwählten repräsentieren das Millionenheer aus Vertriebenen, das derzeit weltweit auf der Flucht ist.
Popole Misenga und Yolanda Bukasa stammen aus dem Osten der Demokratischen Republik Kongo. Ihre Heimat war zu Zeiten ihrer Kindheit Bürgerkriegsgebiet. Beide verloren damals Angehörige, Popole mit acht Jahren seine Mutter. Noch als Kinder flohen beide vor der Gewalt aus ihrer Heimatregion.
Schwimmer aus Syrien, Leichtathleten aus dem Südsudan
Vielleicht hat sie das geprägt, noch heute wirken sie scheu. Schüchtern beobachten sie das Heer von Journalisten, das rund um ihre Trainingsmatte die Kameras positioniert hat. Seit IOC-Präsident Thomas Bach Anfang Juni die Namen der zehn Mitglieder des Flüchtlingsteams vor der Weltpresse bekanntgab, können sich die beiden Judokas vor Medienanfragen kaum retten.
Zwei Schwimmer aus Syrien sind im Team, ein Leichtathlet aus Äthiopien und fünf aus dem Südsudan. Und eben Popole und Yolanda, die seit drei Jahren in der Olympiastadt Rio de Janeiro leben. Seit anderthalb Jahren trainieren beide im Instituto Reacao, einem Sozialprojekt in Rios westlichem Stadtteil Jacarepagua. Mit Hilfe des Judo-Sports will man hier Kinder und Jugendliche "auf und neben der Matte" formen und in die Gesellschaft integrieren. Da passen die beiden Judokas aus dem Kongo bestens dazu, auch wenn sie ein wenig zu alt sind.
Gegründet wurde das Institut vom brasilianischen Judo-Bronzemedaillengewinner Flavio Canto. Bei Olympia in Rio sind vier Judokas von Reacao am Start. Zwei im brasilianischen Team und die beiden Flüchtlinge."Hier nennt mich niemand Yolanda, alle rufen nur: hey Flüchtling." Die 28-jährige Judoka nimmt es mittlerweile locker. "Ich bin Flüchtling, und deshalb zu allem fähig, selbst zu einer Medaille", diktiert sie selbstbewusst in die Mikrofone und Schreibblocks der Presse. "Und Gott wird mir dabei helfen."
Flucht während eines Wettkampfes in Rio
Vor drei Jahren hatten sich Yolanda und ihr Landsmann Popole während eines Wettkampfs in Rio aus dem Mannschaftshotel geschlichen. Sie wollten nicht wieder zurück in das Chaos daheim. "Im Kongo gab es soviel Gewalt, soviel Krieg, soviel Durcheinander. Da entschied ich mich, in Brasilien zu bleiben, um mir ein besseres Leben aufzubauen", sagt der 24-jährige Popole heute. Sie kamen bei Afrikanern in den Favela-Slums von Rio unter. Von der Caritas erhielten sie Unterstützung. Vom brasilianischen Staat nicht. Popole heiratete eine Brasilianerin, sie haben ein Kind. Wenn es regnet, geht Popole nicht zum Training. Er wolle die brüchige Hütte dann nicht alleinlassen, erzählt man auf dem Trainingsplatz.
Yolanda zog damals ausgehungert durch Rio, schlief dort, wo man sie in Ruhe ließ. Jahrelang tingelte sie zwischen den Unterkünften von Freunden umher. Bei Olympia erfolgreich zu sein, soll die Wende in ihrem Leben bringen. "Ich trainiere hier nicht um zu verlieren, sondern um meine Lebensgeschichte zu verändern." Yolanda hofft, dass ihre Angehörigen im Kongo sie sehen werden. "Hallo, ich bin hier in Brasilien", sagt sie in eine Kamera. Es gibt keinen Kontakt. Eines Tages will sie wieder mit ihnen zusammenleben. Falls sie überhaupt noch leben.
Olympische Hymne den Flüchtlingen zu Ehren
Immerhin, während der Olympischen Spiele werden sie erst einmal im Olympischen Dorf unterkommen. Das Flüchtlingsteam hat darauf ein Anrecht, genau wie alle anderen 11.000 Athleten. Zudem bekommen sie einen zwölfköpfigen Betreuerstab gestellt. Als vorletzte Delegation werden sie zur Eröffnungszeremonie einziehen, vor Gastgeber Brasilien. Ihnen zu Ehren wird die Olympische Hymne erklingen.
"Ich vertrete alle Flüchtlinge dieser Welt", sagt Yolanda trotzig. Die Millionen Menschen, die kaum jemand kennt. "Weißt Du, niemand kennt die Lebensgeschichte seines Nebenmannes. Was in meinem Leben geschah, weiß ja auch nur ich." Vielleicht wird aber bald schon die ganze Welt die Olympia-Helden Yolanda und Popole kennen.