Belgier erlauben Sterbehilfe für Kinder

"Wirklich erschreckend!"

Die Belgier haben entschieden: Kinder in Belgien dürfen aktive Sterbehilfe bekommen. Das Gesetz ist weltweit einmalig. Professor Lukas Radbruch, Leiter des Zentrums für Palliativmedizin am Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard in Bonn, reagiert im domradio.de-Interview entsetzt.

Hospiz: Begleitung statt Sterbehilfe (epd)
Hospiz: Begleitung statt Sterbehilfe / ( epd )

domradio.de: Die Belgier haben für die aktive Sterbehilfe für schwerstkranke Kinder gestimmt. Wie bewerten Sie persönlich diese Entscheidung?

Lukas Radbruch: Ich finde das wirklich erschreckend! Das ist ein Schritt in einer längeren Entwicklung, die wir schon beobachtet haben, bei der die gesetzlichen Regelungen in Belgien langsam aufgeweicht und für immer mehr Fälle in Anspruch genommen werden. Und diese Ausweitung und Ausdehnung auf Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ohne jede Altersgrenze ist aus meiner Sicht wirklich besorgniserregend.

domradio.de: Weil Sie glauben Sie, dass Kinder die Entscheidung, ihr Leben zu beenden, tatsächlich nicht treffen können?

Radbruch: Ja, und weil es unsere Erfahrung ist, dass Kinder wie auch Erwachsene zwar durchaus manchmal einen Todeswunsch äußern, also sagen: Ich will so nicht weiterleben. Aber das heißt doch eben in erster Linie, dass sie so nicht weiterleben wollen. Und wir müssen doch eigentlich eher daran arbeiten, dass wir die Umstände ändern und dass wir ihnen das Leben dann wieder in irgendeiner Form lebenswert und erträglich machen. Und das passiert bei Weitem noch nicht, es gibt natürlich die Palliativmedizin und Hospizversorgung für Kinder und Jugendliche, aber die wird noch viel zu selten angeboten und viel zu wenige Kinder bekommen das. Wenn ich jetzt lese und höre, dass Kinder wegen starker Schmerzen sterben wollen, dann muss ich sagen: Wir sind eigentlich in den letzten Jahren auch bei Kindern in der Schmerztherapie so viel weiter gekommen, und es muss heutzutage wirklich nicht mehr sein, dass man – auch bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung ‑ an starken Schmerzen leidet. Dagegen kann man was tun!

domradio.de: Das ist dieselbe Position, die auch der Vorsitzende der Belgischen Bischofskonferenz geäußert hat, der fordert, dass sich die Gesellschaft statt der Sterbehilfe besser überlegen sollte, wie Schwerkranke durch das öffentliche Gesundheitswesen besser aufgefangen werden können. Was genau muss denn da verbessert werden?

Radbruch: Generell gilt es, erst einmal die Angebote für Hospizarbeit und Palliativversorgung auszubauen. Das gilt für Belgien wie für Deutschland. Wir sind in den letzten 20 Jahren da schon sehr weit gekommen, es gibt eine ganze Reihe von Einrichtungen, die eine solche Versorgung anbieten, aber das gibt es eben bei Weitem noch nicht für jeden. Dazu kommt, dass das vielen Menschen noch gar nicht bekannt ist, was es schon alles für Möglichkeiten gibt. Der Gesetzgeber erlaubt in Belgien wie auch in Deutschland, dass man Behandlungsmöglichkeiten, die Patienten oder Eltern ablehnen, nicht mehr machen muss. Man kann auf alle Therapien verzichten, auch wenn dadurch das Sterben schneller eintritt oder zumindest nicht mehr hinausgezögert wird. Und das wird oft verwechselt, es wird oft gedacht, dass so etwas nicht möglich ist. Wie gesagt: Was an Hospiz- und Palliativarbeit möglich ist, wissen viele Menschen gar nicht nicht.

domradio.de: Das heißt, die Unwissenheit über Alternativen ist das größte Problem?

Radbruch: Das sehe ich wirklich so! Hier wird nach aktiver Sterbehilfe gerufen, und das wird jetzt in Belgien sogar ermöglicht für kleine Kinder und Jugendliche, ohne dass wirklich die Alternativen bekannt sind.

domradio.de: Inwieweit befürchten Sie, dass dem belgischen Beispiel andere Länder, z.B. auch Deutschland, folgen könnten?

Radbruch: Ich würde mir wünschen, dass das nicht geschieht! Es gibt immer wieder Umfragen und Meinungsäußerungen aus der Bevölkerung, aber auch da höre ich ganz oft Unsicherheit und Unwissen heraus über die bestehenden Möglichkeiten. Ich glaube, wir sind in Deutschland eigentlich von der Gesetzeslage her gut aufgestellt und sollten eher sehen, dass wir Hospiz- und Palliativarbeit  und andere Alternativen ausbauen. Ob sich vielleicht nicht doch irgendwann auch in Deutschland eine gesetzliche Änderung anbahnt, weiß ich nicht. Ich wünsche mir aber, dass nicht.

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR