In dem Schreiben, das in der französischsprachigen Presse zitiert wird, fordert der Vatikan die Traditionalisten nur noch indirekt auf, das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und seine Reformen anzuerkennen: Die Rebellen sollen anerkennen, dass es keine über dem Papst stehende Lehrautorität gibt und sich nicht öffentlich in Gegensatz zum Papst positionieren. Erst dann könne man über das Ende der Exkommunikation reden, die 1988 erfolgte, als Lefebvre gegen päpstliches Verbot vier Bischöfe weihte.
Mit seinem neuen Schachzug setzt Benedikt XVI. die vom exkommunizierten Schweizer Bischof Bernard Fellay geführte weltweite «Pius-Bruderschaft» erneut unter Druck. Denn nach ihrem eigenen Selbstverständnis erkennen die Ultrakonservativen das Papstamt durchaus an. Ihre selbst gesetzte Mission ist es, die «modernistischen Irrtümer» des Konzils zu korrigieren und die Kirche zurück auf den Pfad ihrer Jahrhunderte alten Tradition zu bringen. Als Gegner des päpstlichen Lehramts sehen sie sich dabei keineswegs.
Wenn Fellay nun, wie er am 20. Juni in einem Vortrag in den USA angekündigt hat, eine Unterordnung unter den Pontifex ablehnte, würde er noch mehr als bisher Gefahr laufen, jenen Teil seiner Anhängerschaft zu verlieren, die zwar einzelne Konzilsentscheidungen für falsch halten, sich dem Papst - und insbesondere dem gegenwärtigen - aber bereitwillig unterordnen. Ohnehin steht Fellays knapp eine Million Anhänger zählende Gemeinschaft seit einem Jahr vor einer Zerreißprobe.
Seit Benedikt XVI. am 7. Juli 2007 per Erlass angeordnet hat, den alten Messritus wieder weltweit als «außerordentliche Form» der katholischen Messfeier zuzulassen, ist einer der wichtigsten Gründe für die Abspaltung von 1988 nicht mehr ganz stichhaltig. Wer die alte Messe will, muss nun nicht mehr den von Rom abgespaltenen Piusbrüdern folgen; er kann dies ohne Sonderauflagen auch im Schoß der katholischen Kirche tun.
Die Liebe zur alten, lateinischen Messe, die mit dem Rücken zum Volk zelebriert wurde, war bislang das einigende Band für die katholischen Ultras unterschiedlichen Grades. Nicht alle lehnten die Konzilsbeschlüsse in Bausch und Bogen ab - ja viele von ihnen haben diese Beschlüsse bis heute nicht einmal im Wortlaut zur Kenntnis genommen. Wie viele Anhänger der Pius-Bruderschaft nun wieder in die Kirche zurückkehren, ist noch nicht absehbar. Aber der Rechtfertigungsdruck, warum die Hardliner trotz der päpstlichen Zugeständnisse bei der Liturgie noch immer im Schmollwinkel der Kirchengeschichte verharren wollen, ist gewachsen.
Fellays Rest-Gefolgschaft könnte sich im Falle einer Ablehnung der römischen Vorschläge weiter radikalisieren: Die Spreu jener, die nicht zu vernünftigem Dialog in der Lage sind, würde sich dann trennen vom Weizen, zu dem Rom jene rechnet, die bei aller Liebe zur alten Liturgie und aller Kritik an den Auswüchsen der Konzilszeit das Augenmaß und die Treue zur Kirche nicht verloren haben.
Sollte es Benedikt XVI. gelingen, die Führung und den harten Kern der Piusbrüder zu isolieren und viele Traditionalisten wieder in die Kirche zurückzuführen, könnte dies auch Auswirkungen auf den katholischen Mainstream haben. Die katholische Kirche würde, vor allem in der Liturgie, auch insgesamt wieder konservativer. Die jüngste Ankündigung des päpstlichen Zeremonienmeisters, in Papstmessen die Kniebank zum Kommunionempfang wieder zur Norm zu machen und die weit verbreitete Handkommunion als Ausnahme zu betrachten, geht in diese Richtung. Die gegenseitige Bereicherung der alten und der neuen Liturgie, die Benedikt XVI. gefordert hat, nimmt Gestalt an.
Benedikt XVI. kommt den Ultrakonservativen weit entgegen
Der Papst setzt Lefebvres Erben unter Druck
Fast auf den Tag genau 20 Jahre nach der Abspaltung der Traditionalisten um Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991) hat Benedikt XVI. einen neuen Schritt unternommen, um den ultrakonservativen Flügel des Katholizismus wieder in die Kirche zu integrieren. Ausschlaggebend ist ein Fünf-Punkte-Katalog des zuständigen Kurienkardinals Dario Castrillon Hoyos vom 4. Juni.
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