Unter Verweis auf die Rechtsbeugungen in der Nazi-Herrschaft betonte der Papst vor den nicht ganz voll besetzten Abgeordnetenreihen, dass geltendes Recht in Wahrheit auch Unrecht sein könne. In den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen gehe, reiche das Mehrheitsprinzip nicht aus.
Als Beispiel erwähnte Benedikt XVI. die Debatte um die Embryonenforschung und die Fortpflanzungsmedizin und sagte: "Der Mensch kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen machen und Menschen vom Menschsein ausschließen. Wie erkennen wir, was recht ist?"
Gegen den religiösen Fundamentalismus
Der Papst, der mit starkem Ablaus empfangen wurde, distanzierte sich in seiner Rede vom religiösen Fundamentalismus. Er betonte, das Christentum habe im Unterschied zu anderen Religionen nie eine staatliche Rechtsordnung aufgrund göttlicher Offenbarung vorgegeben.
Stattdessen habe sich die christliche Theologie der abendländischen Rechtsordnung angeschlossen, die auf der antiken Verbindung von Recht und Philosophie gegründet sei. Von dort gehe die Entwicklung über die Aufklärung bis hin zu den modernen, unveräußerlichen Menschenrechten.
Mit scharfen Worten wandte sich Benedikt XVI. gegen den sogenannten Rechtspositivismus, der einen Zusammenhang zwischen der menschlichen Natur und dem Recht leugnet. Wer das menschliche Erkennen auf die naturwissenschaftliche Vernunft begrenze, verkleinere den Menschen und bedrohe seine Menschlichkeit, betonte der Papst. Ähnlich wie die Ökologiebewegung der 1970er Jahre die Bedeutung der Natur neu entdeckt habe, sei heute eine Wiederentdeckung der Bedeutung der menschlichen Natur nötig. "Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann", erklärte der Papst.
Gegenüber den Abgeordneten machte der Papst seine Rolle als Redner im Bundestag deutlich: Die Einladung habe ihm als Papst und Bischof von Rom gegolten, "der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt". "Sie anerkennen damit die Rolle, die dem Heiligen Stuhl als Partner innerhalb der Völker- und Staatengemeinschaft zukommt", sagte er.
Den Abgeordneten, von denen eine Minderheit aus prinzipiellem Protest gegen den Papst der Rede ferngeblieben war, wünschte Benedikt XVI. "die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden und so wahres Recht zu setzen, der Gerechtigkeit zu dienen und dem Frieden."
Lob für ökologische Bewegung in Deutschland
In seiner Rede lobte der Papst die ökologische Bewegung in Deutschland. "Jungen Menschen war bewusst geworden, dass irgendetwas in unserem Umgang mit der Natur nicht stimmt", sagte er am Donnerstag in Berlin. Die Erde sei mehr als ein "Material für unser Machen" und habe Würde.
"Ich würde sagen, dass das Auftreten der ökologischen Bewegung in der deutschen Politik seit den 70er Jahren zwar wohl nicht Fenster aufgerissen hat, aber ein Schrei nach frischer Luft gewesen ist und bleibt", sagte das katholische Kirchenoberhaupt. Diese Stimmen dürften nicht überhört oder beiseite geschoben werden, nur weil auch viel Irrationales darin sei. "Es ist wohl klar, dass ich hier nicht Propaganda für eine bestimmte politische Partei mache", betonte er. Nichts liege ihm ferner als das, sagte er unter Gelächter und Applaus der Abgeordneten.
"Wenn in unserem Umgang mit der Wirklichkeit etwas nicht stimmt, dann müssen wir alle ernstlich über das Ganze nachdenken", sagte Benedikt. Der Mensch müsse wieder auf die Sprache der Natur hören und ihr entsprechend antworten. "Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann", erklärte er.
Lammert: Historisches Ereignis
Zuvor hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert die Papstrede vor dem Parlament als historisches Ereignis gewürdigt. "In Zeiten der Globalisierung, einer von Kriegen und Krisen erschütterten Welt, suchen viele Menschen nach Halt und Orientierung", so der Bundestagspräsident. "Die Bewahrung ethischer Prinzipien jenseits von Märkten und Mächten und die Pflege gemeinsamer Werte und Überzeugungen ist eine große Herausforderung auch und gerade moderner Gesellschaften, wenn sie ihren inneren Zusammenhalt nicht gefährden wollen."
Das heutige Verständnis der Grundrechte sei geprägt von historischen Erfahrungen und Errungenschaften, "insbesondere der Aufklärung, der wir nicht nur die Herausforderung des Glaubens durch die Vernunft verdanken, sondern auch die Trennung von Kirche und Staat, die zu den unaufgebbaren Fortschritten unserer Zivilisation gehört", erklärte Lammert.
Der CDU-Politiker und bekennende Katholik machte deutlich, dass viele Menschen sich wünschten, "dass im Pontifikat eines deutschen Papstes, des ersten nach der Reformation, nicht nur ein weiteres Bekenntnis zur Ökumene, sondern ein unübersehbarer Schritt zur Überwindung der Kirchenspaltung stattfände". Lammert hatte in seiner Eigenschaft als Parlamentspräsident Benedikt XVI. in den Bundestag eingeladen. Um den Auftritt des Papstes hatte es zuvor heftige Diskussionen unter den Abgeordneten gegeben.
Rund 80 Abgeordnete sind am Donnerstag der Rede von Papst Benedikt XVI. im Bundestag ferngeblieben. Bei den Linken blieben etwas mehr als 40 Plätze frei, bei der SPD knapp 25 und 12 bei den Grünen. Für ehemalige Abgeordnete und Gäste wurden 150 Sitze aufgestellt. Die päpstliche Delegation nahm hinter den leeren Sitzreihen der Linksfraktion Platz.
Benedikt XVI. warnt Politiker vor purem Erfolgsstreben
Der Papst im Bundestag
In seiner mit Spannung erwarteten Rede im Deutschen Bundestag hat sich Papst Benedikt XVI. gegen Bestrebungen gewandt, das Recht in der Demokratie allein auf Mehrheitsbeschlüsse zu gründen. Bei seiner Begrüßungsrede hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert zuvor ein Ende der Kirchenspaltung gefordert.
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