Benediktinermönch zur Lage in Jerusalem nach den Teenagermorden

Missbrauchtes Leid

Nach dem Mord an vier Teenagern im Heiligen Land wünscht sich Pater Nikodemus Schnabel Raum für ehrliche Trauer. Im domradio spricht der Benediktiner in Jerusalem über missbrauchtes Leid und über manipulierbare Jugendliche.

Krawall in Ostjerusalem (dpa)
Krawall in Ostjerusalem / ( dpa )

domradio.de: Sie und Ihre Mitbrüder leben als Benediktiner auf dem Berg Zion mitten in Jerusalem. In Deutschland hat man den Eindruck, dass nur noch ein kleiner Funken fehlt und der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern explodiert. Wie erleben Sie die derzeitige Situation vor Ort?

Pater Nikodemus Schnabel OSB: Das ist wirklich schwierig einzuschätzen. Ich habe Hoffnungen, dass es nicht so weit ist, dass nur ein kleiner Funken fehlt und alles kocht über. Es sind doch eher kleinere radikale Gruppen, die sehr für Stimmung sorgen. Am Dienstagabend gab es eine relativ überschaubare Demonstration von Hundert Leuten, die "Tod den Arabern" gefordert haben, die sehr aggressiv waren. Die Demonstration war nicht angemeldet, es gab auch viele Verhaftungen. Was wir auch wissen sollten, wir haben gerade Ramadan, da sind die Emotionen der islamischen Welt noch einmal empfindlicher. In Ostjerusalem gab es Demonstrationen, weil ein arabischer Jugendlicher entführt und getötet wurde. Auch da sind die Emotionen hoch, aber es ist nicht die große Masse.

Es ist hier nicht so, dass sich Zehntausende durch die Straßen schieben oder dass man das Gefühl hat, jetzt geht gleich alles in die Luft.

Die Rhetorik der Politiker wird in den nächsten Tagen wichtig sein. Wenn Sie natürlich weiter so machen wie bisher, dann ist das wenig hilfreich! Die Hamas sagt ja: "Wir sind bereit die Pforten der Hölle zu öffnen" oder Netanjahu spricht von den Tätern, sie seien "Tiere in Menschengestalt". Wenn verbal entschärft wird und mehr die Trauer im Vordergrund steht, nicht der Rachegedanke und die besonnenen Kräfte sich durchsetzen, hoffe ich, dass es nicht zu einer Katastrophe kommt.

domradio.de: Wie haben Israelis in Ihrem Umfeld auf die Ermordung der drei Jugendlichen reagiert?

Schnabel: Ich kenne natürlich eher linkere Israelis und welche, die eher der Friedensbewegung nahe stehen. Ich bin nicht eng befreundet mit Siedlern, das sind eher die Leute, die uns Probleme machen. Meine israelischen Freunde sind eher entsetzt auch über die Rhetorik, über den Missbrauch dieses Leids. Die Verlierer sind wirklich die Familien dieser drei Jugendlichen, die ermordet wurden. Dass auf dieses Leid so eine Hass-Rhetorik kommt und eine Vergeltungsrhetorik ist auch zynisch. Sie sagen das ist gemein, dass man das ausnutzt, politisch Kapital aus dem persönlichen Leid schlägt. Es gibt auch Stimmen, die sagen: Naja, wer nachts in der Westbank trampt… Das ist natürlich seit den 90er Jahren verboten. Sehr linke Stimmen sagen: Unser Mitleid hält sich in Grenzen mit diesen drei Jugendlichen, die natürlich auch aus einer gewissen politischen Richtung kommen. Aber das finde ich dann wieder zynisch!

Ich denke, wenn wirklich Menschen ermordet wurden, da ist einfach Trauer angesagt! Das würde ich mir noch mehr wünschen: Platz für eine ehrliche Trauer, aber aus der dann Versöhnung erwächst und eben nicht Vergeltung.

domradio.de: In der Jerusalemer Altstadt leben die drei Weltreligionen auf engstem Raum zusammen. Im Zuge des Besuches von Papst Franziskus hat es einen Brandanschlag auf Ihre Kirche gegeben, der glimpflich verlaufen ist - befürchten Sie, dass es immer schwerer wird, für die Religionen miteinander auszukommen?

Schnabel: Ich hoffe, dass sich bald die Spreu vom Weizen trennt und da sehe ich auch schon positive Anzeichen. Gerade wenn Sie den Brandanschlag ansprechen, ich hatte sehr sehr viele Solidaritätsbesuche von Rabbinern, die gesagt haben, sie sind an unserer Seite. Auch schon im Vorfeld. Wir haben ja andauernd Spukattacken, auch andere unschöne tägliche Erlebnisse mit diesen rechtsextremen jüdischen Splittergruppen und da gibt es eine große Solidarität.

Auch von muslimischer Seite mehren sich die Stimmen, die sagen, wir müssen als religiöse Führer - ähnlich wie Papst Franziskus das vorbildlich vorgelebt hat in den vatikanischen Gärten - einfach sagen: die Religion ist eine Quelle des Friedens, der Versöhnung, der Verständigung. Und dass wir uns stärker abgrenzen gegen Leute, die Religion missbrauchen, die wie Hooligans der Religion sind, die Menschen, die auf der Suche sind, missbrauchen. Auch die Demonstranten von Dienstag waren alle 14-,15-,16-Jährige. Wir haben es hier mit jugendlichen Leuten zu tun und ich denke jugendliche Menschen haben das Recht auf Antworten in dieser schwierigen Lebensphase, wo sie Orientierung suchen, die ihnen Halt geben, aber sie auch zur Versöhnung erziehen und nicht Hass in ihre Herzen säen.

Ich finde das so etwas von schändlich, wenn Demagogen Menschen in einem "gefährlichen Alter" instrumentalisieren für ihre Hassideologie. Das finde ich wirklich einen Missbrauch von Religion, den ich streng verurteile. Ich sehe leider, dass er wächst, aber ich hoffe, dass dadurch auch die Gegenreaktion wächst, dass die Religionen noch einmal stärker klarstellen, für was sie wirklich stehen.

Das Interview führte Mathias Peter


Quelle:
DR