Beobachter sehen bessere Zeiten für Christen in der Türkei

Ein Christ auf dem Weg ins türkische Parlament

Wenn am Sonntag gewählt wird in der Türkei, hat Erol Dora gute Chancen, als unabhängiger Kandidat aus dem südostanatolischen Mardin direkt ein Mandat zu bekommen. Der Aramäer ist Christ – und als solcher wäre er der erste seit einem halben Jahrhundert im türkischen Parlament.

Autor/in:
Bettina Dittenberger
 (DR)

Der 47-jährige Rechtsanwalt, dessen Kandidatur von der Kurdenpartei BDP unterstützt wird, würde damit zum ersten christlichen Abgeordneten in der Volksvertretung in Ankara seit dem Militärputsch von 1960.



Im Vorfeld der Wahlen hatte es einen noch nie dagewesenen Ansturm christlicher Kandidaten auf die Listen der Parteien gegeben. Insbesondere bei der religiös-konservativen AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatten sich mehrere Christen um einen Listenplatz beworben, darunter ein Aramäer, zwei Armenier und ein griechisch-orthodoxer Christ. Je ein Armenier bewarb sich auch bei der kemalistischen CHP und der nationalistischen MHP.



Dass die christlichen Bewerber es letztlich nicht aus dem Feld der mehr als 10.000 Bewerber unter die 1.500 Kandidaten der drei großen Parteien schafften, erklärt der aramäische Christ Markus Ürek, der sich vergeblich um eine Kandidatur für die AKP bewarb, eher mit technischen Gründen als mit religiösen Vorurteilen: "Erdogan kannte mich wohl einfach nicht gut genug, um mich aufzustellen", sagt Ürek. Dennoch unterstütze er die AKP weiterhin - als die beste Partei für die christlichen Minderheiten.



Gestiegenes Selbstbewusstsein

Allein die Bewerbungen der türkischen Christen bei den Parteien betrachten Beobachter wie der Soziologe Ayhan Aktar von der Istanbuler Bilgi-Universität als Indiz für ihr gestiegenes Selbstbewusstsein in der türkischen Republik. "Es gibt eine Annäherung zwischen dem Staat und den Minderheiten", sagt Aktar, der auf die Probleme der religiösen Minderheiten spezialisiert ist. "Die Minderheiten fühlen sich heute wohler in der Politik." Noch vor zehn Jahren hätte es kein Aramäer gewagt, sich um eine Kandidatur für das türkische Parlament zu bewerben, sagt auch Markus Ürek. "Die Verbesserung der türkischen Demokratie hat mich ermutigt, es zu versuchen."



Wesentlich beigetragen zu dieser Ermutigung der türkischen Christen haben zwei Personalentscheidungen der Regierung in diesem Jahr. Im März berief Europaminister Egemen Bagis einen armenischen Christen in sein Ministerium; wenig später trug das Außenministerium einem Armenier den Posten des OECD-Botschafters an. Damit wurde mit dem seit Gründung der Republik andauernden Tabu gegen Christen im Staatsapparat gebrochen, sagt Aktar.



Und auch sonst hat das Kabinett Erdogan in den vergangenen Monaten bei den Christen - die freilich weniger als ein Prozent der Wähler ausmachen - punkten können. In gleich mehreren Kirchen und Klöstern verschiedener christlicher Konfessionen durfte erstmals seit Jahrzehnten wieder Gottesdienst gefeiert werden: im griechisch-orthodoxen Sümela-Kloster in der Nordtürkei etwa oder in der Heilig-Kreuz-Kirche im osttürkischen Van im September für die überraschten Armenier. Historische Kirchen wie das Marienhaus in Ephesus und die Pauluskirche in Tarsus wurden zuletzt nicht mehr starr als Museen behandelt, sondern konnten auf Anfrage von christlichen Gruppen für Gottesdienste genutzt werden.