Bergmann sieht in Rundem Tisch eine große Chance

"Schutz und schnelle Hilfe schaffen"

Am Freitag tagt erstmals der Runde Tisch gegen Kindesmissbrauch. Die ehemalige SPD-Familienministerin Christine Bergmann wird als unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle teilnehmen. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit ihr am Donnerstag in Berlin über Aufgaben und Ziele des Gremiums.

 (DR)

KNA: Frau Bergmann, welche Erwartungen haben Sie an den Runden Tisch?
Bergmann: Er ist eine große Chance, um Kinder künftig besser vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Erstmals kommen Vertreter aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen und Verbände aus Politik, Kirche und Gesellschaft zusammen, um Fälle aus der Vergangenheit aufzuarbeiten sowie Schutz und Prävention zu verbessern.

KNA: Welche Aufgabe kommt Ihnen dabei zu?
Bergmann: Zunächst sind wir eine Anlaufstelle für Betroffene, Angehörige oder Personen, die um Missbrauchsfälle wissen. Das betrifft sowohl die Vergangenheit als auch akute Missbrauchsfälle. Dann wollen wir auf der Grundlage eigener Erkenntnisse sowie bereits vorhandener Erfahrungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Aufarbeitung des Themas beitragen. Dazu führen wir schon jetzt viele Gespräche mit Beratungsstellen, Initiativen und Experten. Daraus werden wir dann Empfehlungen erarbeiten und der Bundesregierung vorlegen. Dabei wird es auch um Hilfen für Betroffene gehen, sowohl materielle als auch immaterielle.

KNA: Nach Angaben des Bundeskriminalamts werden der Staatsanwaltschaft jährlich rund 15.000 Missbrauchsfälle bekannt. Die Dunkelziffer wird auf weit über 100.000 geschätzt. Hätte ein solches Gremium nicht schon viel früher einberufen werden müssen?
Bergmann: Man muss die Gesellschaft erst für diese Fragen sensibilisieren. Jetzt war der Anlass das Bekanntwerden der massiven Fälle in den Institutionen. Das gilt für kirchliche Bildungseinrichtungen wie für viele andere Institutionen und Schulen. In den vergangenen Jahren ist bereits einiges gegen den Missbrauch auf den Weg gebracht worden. Die öffentliche Debatte zeigt aber, dass dies nicht ausreicht.

KNA: Um welche Bereiche wird es konkret gehen?
Bergmann: In der Öffentlichkeit geht es derzeit vor allem um Missbrauch in den Institutionen, sowie um Fälle, die oft sehr weit zurückliegen. Fachleute gehen aber davon aus, dass etwa 90 Prozent des Kindesmissbrauchs im familiären Umfeld stattfindet. Weiterer Bereiche sind etwa der Sport oder Jugendeinrichtungen.

KNA: Ist sexueller Missbrauch immer noch ein Tabuthema in Deutschland?
Bergmann: Inzwischen wird zwar in der Gesellschaft darüber gesprochen, aber man geht noch nicht offen damit um. So gibt es weiterhin «Schweigekartelle» in Institutionen, die sich schützen und sagen, das schädigt unseren guten Ruf. Aber auch in Familien ist es oft sehr schwierig zuzugeben, dass so etwas vorkommt. Die Leidtragenden sind die Kinder. Wir müssen deutlich machen, dass sie ein Recht auf gewaltfreie Erziehung sowie Schutz vor sexueller Gewalt und Ausbeutung haben.

KNA: Worum wird es beim Thema Schutz und Prävention gehen?
Bergmann: Wir werden genau sehen müssen, wo wir mehr Beratungsstellen brauchen, wo es Lücken gibt und wie Institutionen damit umgehen. Wichtig sind etwa Ansprechstellen gerade in Institutionen, damit betroffene Kinder nicht mehr hilflos bleiben. Wichtig ist ferner die Fortbildung etwa für Lehrer oder Kita-Erzieher: An welchen Symptomen erkennen sie, ob ein Kind missbraucht wird, und wie können sie damit umgehen. Zugleich wird es um Kriterien bei der Auswahl im hauptamtlichen wie im ehrenamtlichen Bereich gehen. Schließlich ist zu prüfen, ob vorhandene rechtliche Regelungen ausreichen.

KNA: Wie steht es um die Frage der Aufarbeitung?
Bergmann: Für mich ist es das Schlimmste, wenn ältere Menschen schildern, wie sie vergeblich nach Hilfe gesucht haben. Gerade für sie ist es besonders wichtig, dass wir ihr Leid öffentlich anerkennen und diejenigen, die dafür verantwortlich sind, benennen und zur Verantwortung ziehen. Man wird zwar in Zukunft nicht alles verhindern können. Wir müssen aber zumindest dafür sorgen, dass Betroffene schnelle Hilfe finden.

Interview: Christoph Scholz