Berlin verweigert EU-Vertrag Zustimmung - Wowereit beugt sich Druck der Linken

Rot-Rot in der Krise

Berlin hat als einziges Bundesland dem EU-Reformvertrag die Zustimmung verweigert. Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) votierte am Freitag im Bundesrat mit Enthaltung. Damit beugte sich die SPD der Linken, die das Reformwerk als unsozial und militaristisch ablehnt. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bedauerte, dass die seit 2002 bestehende, bundesweit einzige rot-rote Koalition erstmals keinen Konsens erzielen konnte. Nach seiner Einschätzung steckt das Bündnis in einer "Krise". Scharfe Kritik an der Entscheidung kam von der Opposition.

Autor/in:
Christina Schultze und Karoline von Graevenitz
 (DR)

Wowereit hatte die Enthaltung Berlins bereits vor Beginn der Sitzung der Länderkammer angekündigt. Es gehe bei der Entscheidung "nicht um Niederlage oder Sieg, sondern um Vernunft", sagte er. Es gebe nach wie vor einen Dissens zwischen beiden Seiten. Die SPD sei für den Vertrag, die Linke dagegen. Für ihn sei unverständlich, dass die Linke die Fortschritte des EU-Vertrages nicht sehe.

"Ich habe feststellen müssen, dass die Linke in Berlin nicht handlungsfähig ist", sagte Wowereit. Sie stehe unter dem Einfluss ihres Bundesvorsitzenden Oskar Lafontaine. Er werde aufmerksam beobachten, ob sie sich ihre Direktiven auch in Zukunft von Lafontaine geben lasse. Wenn das der Fall sein sollte, werde die weitere Zusammenarbeit "schwierig".

Zugleich stellte Wowereit fest, dass die Linke auf Bundesebene in europapolitischen Fragen «nicht regierungsfähig» sei. Die Spitze um Lafontaine habe sich damit dafür entschieden, "immer in der Opposition zu bleiben". Bisher hatte Wowereit eine rot-rote Koalition auf Bundesebene nur für 2009 ausgeschlossen.

Nach eigenen Angaben hat sich der Regierungschef nur deshalb zur Enthaltung entschlossen, weil es für die Ratifizierung des Vertrags nicht auf die Stimme Berlins angekommen sei. Andernfalls hätte er dafür gesorgt, dass die Hauptstadt mit Ja votiere, sagte Wowereit.

Wowereit hatte bis zuletzt versucht, die Linke für ein Ja zu gewinnen. Er gab aber schließlich dem Drängen der Partei nach, die auf Einhaltung des Koalitionsvertrags pochte. Dieser sieht bei Streitthemen zwischen beiden Seiten im Bundesrat die Stimmenthaltung vor. Wowereit sagte, er habe in den Gesprächen gemerkt, in welcher "Notlage" die Linke in Berlin sei. Es sei "fast Verzweiflung" zu spüren gewesen.

Linksfraktionschefin Carola Bluhm sagte, es habe "keine andere Lösung" gegeben als die Enthaltung. Damit könne die Koalition weiter zusammenarbeiten. Zugleich betonte sie, sie finde nicht, dass man einknicke, wenn man sich an den Koalitionsvertrag halte.

Dagegen sagte CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger, durch die Enthaltung sei "schwerer Schaden" für das Image Berlins entstanden. Der Regierende Bürgermeister habe sich gegen die eigene Überzeugung "einer Partei gebeugt, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird". Er habe "Parteiräson vor Staatsräson gestellt" und könne mit dieser Koalition nicht weiterregieren.

FDP-Fraktionschef Martin Lindner forderte den Rücktritt Wowereits. Er sollte diesen Schritt gehen, "statt die Hängepartie an der Leine der Linkspopulisten bis 2011 zu verlängern". In drei Jahren wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt.

Grünen-Bundestagsfraktionschefin Renate Künast kritisierte das Verhalten Wowereits als eine "Blamage" für die Hauptstadt und für Deutschland. Mit Blick auf die bundespolitischen Ambitionen des Berliner Regierungschefs sagte Künast, schon bei seinen "ersten bundespolitischen Gehversuchen" lasse sich Wowereit "von Lafontaine am Nasenring vorführen".