Für die Nationalsozialisten war Bernhard Lichtenberg ein "unbelehrbarer Fanatiker". Heute wird der ehemalige Berliner
Dompropst wegen seines Widerstands gegen das Hitler-Regime über Deutschland hinaus hoch verehrt. Am 5. November vor 80 Jahren starb er auf dem Transport in das Konzentrationslager Dachau.
Wie viele katholische Berlinerinnen und Berliner stammte Lichtenberg aus Schlesien, wo er 1875 in der Stadt Ohlau geboren wurde. Als junger Priester kam er 1900 nach Berlin. Dort machte er sich als engagierter Seelsorger einen Namen und empfahl sich damit für renommierte Positionen im neugegründeten Bistum Berlin:
1932 wurde er Pfarrer der Sankt-Hedwigs-Kathedrale und sechs Jahre später Propst des Domkapitels, dem wichtigsten Beratungsgremium des Bischofs. Auch politisch war Lichtenberg aktiv. So gehörte er der Charlottenburger Bezirksverordnetenversammlung sowie dem Präsidium des "Friedensbundes der deutschen Katholiken" an.
Schon früh wurden ihm die Gefahren der NS-Ideologie klar. Nachdem Hitler 1933 an die Macht gekommen war, hörte Lichtenberg auf, sein Tagebuch weiterzuführen. Allerdings versah er Zeitungen und Bücher - unter anderem Hitlers "Mein Kampf" - weiter mit bissigen Randbemerkungen. Diese Kommentare trugen später entscheidend zu seiner Verurteilung bei.
Er stellte sich auch offen gegen Maßnahmen des Regimes. So protestierte er 1935 beim preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring gegen die Zustände im Konzentrationslager Esterwegen. 1938 übernahm er die Leitung des Berliner "Bischöflichen Hilfswerks für nichtarische Christen"..
Lichtenbergs bekanntester Protest war indes am Abend des 9. November 1938, der sogenannten Reichskristallnacht, als die Nationalsozialisten im ganzen Deutschen Reich die Synagogen in Brand steckten. Damals bestieg der Dompropst die Kanzel der Sankt-Hedwigs-Kathedrale und sprach seine berühmten Worte: "Was gestern war, wissen wir. Was morgen ist, wissen wir nicht. Aber was heute geschehen ist, haben wir erlebt: Draußen brennt die Synagoge.
Das ist auch ein Gotteshaus."
Von da an betete Lichtenberg drei Jahre lang Abend für Abend öffentlich für die Juden und «nichtarischen» Christen wie auch für alle anderen Verfolgten der Nationalsozialisten. Bis zum Oktober 1941, als die Geheime Staatspolizei (Gestapo) ihn verhaftete. Dabei fanden Hitlers Agenten auf seinem Schreibtisch den Entwurf einer Kanzelankündigung, die in allen katholischen Kirchen verlesen werden sollte: "Handelt auch in diesen unchristlichen Zeiten nach dem
strengen Gebot Jesu Christi: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst", hieß es in dem Manuskript.
Wegen "Kanzelmissbrauchs" und Verstößen gegen das "Heimtückegesetz" verurteilte ein Sondertribunal beim Landgericht Berlin den Dompropst im Mai 1942 zu zwei Jahren Gefängnis. Nach Ablauf der Strafe am 23. Oktober 1943 ordnete die Gestapo wegen angeblicher "Gefährdung der Öffentlichkeit" die Deportation des bereits todkranken 67-Jährigen nach Dachau an. Doch auf dem Transport starb er am 5. November 1943 bei Hof in Bayern.
"Er wusste immer, was er riskierte - mit seinen Protesten, seinen Briefen und Predigten gegen staatliches Unrecht und menschenverachtende Gewalt", betont Tobias Przytarski, Lichtenbergs heutiger Nachfolger als Dompropst. Lichtenberg habe das christliche Liebesgebot "ohne jede Einschränkung durch Religion, Rasse oder Herkunft ernst genommen", würdigt ihn auch der Berliner Erzbischof Heiner Koch.
Die Verehrung Lichtenbergs als Märtyrer begann schon früh nach seinem Tod. So regte der damalige Berliner Bischof und spätere Kardinal Alfred Bengsch 1965 im Vatikan ein Verfahren an, das 1996 zur Seligsprechung des Dompropstes durch Papst Johannes Paul II. bei dessen Berlin-Besuch führte.
Das Erzbistum strebt auch seine Heiligsprechung an. Damit wäre Lichtenbergs weltweite Verehrung als Glaubensvorbild in derkatholischen Kirche verbunden. Über Deutschlands Grenzen hinaus wird Lichtenberg auch heute schon verehrt. So verlieh ihm die israelische Gedenkstätte Yad Vashem 2004 postum den Titel "Gerechter unter den Völkern".