Der Himmel über Berlin ist sternenklar - und Ralf steht die nächste kalte Nacht auf einer Parkbank bevor. "Ich schaffe das bald nicht mehr", murmelt der 43-Jährige. Rechts und links von ihm stehen volle Wasserflaschen und in Reichweite eine leere mit Hochprozentigem. Seine Habseligkeiten sind in zwei Einkaufstüten verstaut. "Ich habe Angst vor dem Erfrieren", sagt der Obdachlose. Zumindest in dieser Nacht muss er nicht länger zittern: Der "Kältebus" der Berliner Stadtmission bringt Ralf in eine Notunterkunft.
Erstes Todesopfer
Unterdessen hat der Temperatursturz im November ein erstes Todesopfer unter Obdachlosen gefordert. In Rostock wurde ein 52-jähriger wohnungsloser Mann erfroren aufgefunden, wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe am Freitag in Bielefeld mitteilte. Der Fall ereignete sich bereits am 8. November. Passanten hatten den Mann nach Polizeiangaben in einem Gebüsch in der Altstadt Rostocks entdeckt.
Zahl der Wohnungslosen steigt
Seit 1991 sind den Angaben zufolge in Deutschland knapp 280 Obdachlose erfroren. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft ist die Zahl der wohnungslosen Menschen allein zwischen 2010 bis 2012 um 15 Prozent auf 284.000 Personen gestiegen. Rund 24.000 von ihnen leben auf der Straße, allein in Berlin sollen es rund 600 Personen sein. Um sie kümmern sich von November bis März die Mitarbeiter der "Kältehilfe" von Stadtmission und dem Deutschen Roten Kreuz.
Isomatten und Tee
Artur und Martin haben an diesem Abend Dienst in dem Kleinbus der evangelischen Kirche. Im Kofferraum liegen Decken, Schlafsäcke und Isomatten für Obdachlose. In einem Korb stehen Thermoskannen mit Kaffee und heißem Tee zum Aufwärmen. Einer der Versorgten ist Ralf, der gelernte Tischler und Fleischer, der nach eigenem Bekunden gern wieder arbeiten möchte, um "diesem Teufelskreis auf der Straße zu entfliehen". Aber er komme vom Alkohol nicht los, gesteht er ein.
Lieber Parkbank als Notunterkunft
Neben ihm auf einer anderen Bank im "Kleinen Tierpark" sitzen Dieter und Sabine. Sie leben schon seit acht Jahren auf der Straße. Beide möchten die Nacht auf der Parkbank unter einem Dachvorstand verbringen. "Wir fragen trotzdem immer wieder, ob wir Obdachlose zur Notunterkunft bringen sollen", erklärt Artur, während sich das Pärchen mit Kaffee aufwärmt und Ralf in den Bus steigt.
Bürger rufen den "Kältebus" an
Artur kümmert sich seit Jahren um Menschen ohne Wohnsitz. Der 50-Jährige aus Polen kennt viele Obdachlose beim Namen. Das schafft Vertrauen und erleichtert die Arbeit.
Auf dem Weg zur Notunterkunft der Stadtmission in der Lehrter Straße am Hauptbahnhof klingelt das Handy des "Kältebusses", wie so oft an diesem Abend. Besorgte Berliner rufen an und geben Hinweise auf obdachlose Menschen. Zwischen 70 und 120 Kilometer legt der Kleinbus im Schnitt pro Abend zurück. Nicht alle bekannten Stellen, wo sich Wohnungslose aufhalten, können angefahren werden.
500 Plätze für Obdachlose
Vor dem Eingang der Unterkunft warten Obdachlose auf Einlass. Drin kümmern sich Helfer um andere Wohnungslose und tragen im Speisesaal Gemüsesuppe auf. 87 Schlafplätze stehen hier zur Verfügung. In den nächsten Wochen sollen weitere hinzukommen. Der Senat will in der gesamten Stadt bis zu 500 Plätze schaffen. Mehr als 430 Schlafstellen in 30 Projekten können Obdachlose aktuell nutzen.
Schlafsack gegen Kältetod
Für Artur und Martin geht die Fahrt weiter. Ziel ist das Rathaus Wedding. Dort liegt auf einer Bank in einem Schlafsack gekauert der Spanier Manuel. Martin hatte ihm am Vortag versprochen, eine Isomatte zu bringen. Unter einer Treppe unweit der Bank soll im vergangenen Winter eine Frau erfroren sein.
Wein gegen Frust
Später am Abend geht es nach Kreuzberg in eine Bankfiliale. Neben einem Drucker für Kontoauszüge haben sich drei Männer aus Polen eingerichtet. Die Heizung spendet Wärme, der Wein aus Tetrapacks soll den Frust hinunterspülen. "Verlassen Sie sich nicht auf den Weihnachtsmann", steht auf einem Werbeplakat geschrieben. Die drei Männer sitzen auf einem Schlafsack, und Artur redet auf Polnisch mit ihnen.
Gute Nachricht: keine Läuse
Sie sollen in die Notunterkunft gefahren werden. Denn es besteht der Verdacht, dass sich die Männer erneut Läuse zugezogen haben. Es ist fast Mitternacht. In der Lehrter Straße beugen sich viele Köpfe über die Männer aus Polen. Eine Diagnose ist schwierig. Dann wird ein Arzt zurate gezogen. Es gibt immerhin eine gute Nachricht: keine Läuse. Bart und Haare bleiben dran.