Berufungsklage gegen Wittenberger "Judensau" abgewiesen

Steinerner Antisemitismus – aber kein Straftatbestand

Das mittelalterliche "Judensau"-Relief an der Wittenberger Stadtkirche sorgt seit Jahrzehnten für Diskussionen. Den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt es jedoch nicht mehr, urteilte jetzt das Oberlandesgericht.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Darstellung in Wittenberg / © Norbert Neetz (KNA)
Darstellung in Wittenberg / © Norbert Neetz ( KNA )

Das Schwein des Anstoßes hängt in etwa vier Metern Höhe an der Außenmauer der Wittenberger Stadtkirche, einem berühmten Ausgangspunkt der Reformation. Auf dem Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert ist ein Rabbiner zu sehen, der den Ringelschwanz des Borstentiers anhebt und ihm in den After schaut. Unter dem Schwein saugen zwei Juden an den Zitzen. Die Schmähplastik sorgt seit Jahrzehnten für Debatten. 1988 ließ die evangelische Stadtkirchengemeinde darunter ein Mahnmal und eine Informationstafel anbringen.

Doch das reicht einem inzwischen im Rheinland lebenden Mann nicht. Der 76-Jährige, der zunächst evangelische Theologie studierte und später zum Judentum konvertierte, sieht in dem Relief eine antisemitsche Beleidigung und klagte auf Beseitigung. Erneut ohne Erfolg: Am Dienstag wies das Oberlandesgericht Naumburg seine Berufungsklage zurück. Der Straftatbestand der Beleidigung sei nicht erfüllt, da die historische Plastik inzwischen in ein Gedenkensemble "mit anderem Sinn" eingebettet sei und die Zurschaustellung damit nicht mehr die Ehre von Juden verletze.

Distanzierung "unmissverständlich"

"Wer das Relief betrachtet, kann das Mahnmal und die Informationstafel nicht übersehen", erklärte der Vorsitzende Richter Volker Buchloh. Der Informationstext bringe "unmissverständlich" zum Ausdruck, dass sich die Kirchgemeinde vom verhöhnenden und beleidigenden Charakter der Plastik und der Missachtung von Juden ausdrücklich distanziere.

"Das Urteil war erwartbar", sagte der mitteldeutschen Landesbischof Friedrich Kramer der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Denn man kann der Wittenberger Stadtkirchengemeinde nicht ernsthaft eine Beleidigungsabsicht unterstellen." Schließlich habe die Aufarbeitung der "Saugeschichte" ja mit der Wittenberger Stadtkirchengemeinde begonnen: "Es ist die erste Sau im ganzen europäischen Raum, die mit einer Gedenktafel kommentiert wurde."

Nachdenken über Weiterentwicklung der Gedenkstätte 

Er teile zwar die Ansicht des Klägers, dass die Plastik abgehängt werden sollte, so Kramer, sei aber gegen eine Museumslösung, wie sie der Kläger, aber auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, vorgeschlagen hatten. "Der Gedenkort hat sich bewährt und hat eine große Bedeutung für die Stadt und ihre Bewohner", sagte Kramer. Gleichwohl müsse über eine Weiterentwicklung der Gedenkstätte nachgedacht werden, möglichst in Abstimmung mit der jüdischen Community.

Der Wittenberger Stadtkirchenpfarrer Johannes Block hatte am Montag in der "Süddeutschen Zeitung" bereits entsprechende Planungen angekündigt. Die derzeitige Gedenktafel verlange dem Besucher sehr viel ab, räumte Block ein. Er sei mit dem Zentralrat der Juden über eine neue Idee im Gespräch. Der Kläger lehne sein Konzept jedoch ab. "Die ganze Situation hat eine gewisse Tragik: Da provoziert eine Klage die Kontroverse zweier Seiten, die ein gemeinsames Ziel verfolgen - den Kampf gegen den Antisemitismus", so der Pfarrer.

Nach der Urteilsverkündung, Revision angestrebt

Richter Buchloh wies darauf hin, dass das Relief isoliert betrachtet einen beleidigenden Inhalt habe. Die Einbettung in die kommentierende Gedenkstätte nehme der Skulptur jedoch den beleidigenden Charakter - das sei das Entscheidende. Das Oberlandesgericht folgte damit der Argumentation des Landgerichts Dessau-Roßlau, das die Klage im Mai 2019 abgewiesen hatte.

Doch damit ist der Fall nicht abgeschlossen. Denn das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der 9. Zivilsenat ließ Revision beim Bundesgerichtshof (BHG) zu. "Denn die Sache hat grundsätzliche Bedeutung", so Buchloh. Wie die Anwaltskanzlei des Klägers nach der Urteilsverkündung auf Anfrage bestätigte, strebt er die Revision und damit den Gang nach Karlsruhe an.

Der BGH könnte dann ein Grundsatzurteil fallen. Es hätte Relevanz für ähnliche "Judensau"-Darstellungen, wie sie sich noch an knapp 30 evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland befinden. Die Liste reicht vom 700 Jahre alten Chorgestühl des Kölner Doms über ein Säulenkapitell im Kreuzgang des Doms in Brandenburg an der Havel bis hin zu Skulpturen in Kirchen in Magdeburg, Erfurt und Zerbst.


Quelle:
KNA