Betreuer kritisieren das Modell der Offenen Ganztagsschule

"Wir sind eine Aufbewahrungsanstalt“

Zu viele Kinder, zu wenig Personal, zu kleine Räume: Das sind die Probleme, mit denen Betreuer der Offenen Ganztagsschule in NRW zu kämpfen haben. Beim 10-jährigen Jubiläum sagten sie Schulministerin Löhrmann ihre Meinung.

Kinder auf dem Schulweg (dpa)
Kinder auf dem Schulweg / ( dpa )

Mit so viel Gegenwind hat Sylvia Löhrmann (Bündnis 90/Grüne) wohl nicht gerechnet, als sie am Samstag in Köln zu zehn Jahren Offener Ganztagsschule eine Bilanz ziehen sollte. Eingeladen hatte sie das Erzbistum Köln, das zusammen mit der Caritas über 200 dieser Einrichtungen an Grundschulen in der gesamten Diözese betreibt.

"Offene Ganztagsschule hat sich etabliert"

Für Löhrmann ist das Modell der Nachmittagsbetreuung in den Räumen der Schulen ein voller Erfolg: "Wenn man überlegt, wo wir angefangen haben und wo wir jetzt stehen, dann hat sich die Offene Ganztagsschule zu einem etablierten Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebot gemausert. Es gibt in keinem anderen Entwicklungsbereich der Schulpolitik so eine Dynamik.“ Tatsächlich nutzt mittlerweile jedes dritte Grundschulkind in NRW den Ganztag.

Nach Meinung der Schulministerin und Stellvertretenden Ministerpräsidentin hat das Konzept der offenen Trägerschaft mit Kooperationspartnern aus Kirche, Sportvereinen und Kultur auch verkrustete Strukturen in den Schulen aufgebrochen. "Das war das Ziel: Jugendhilfe und Schulen auf Augenhöhe, mit den unterschiedlichen Professionen auf die Kinder schauen.“ So könnten vor allem Kinder aus sozial schwächeren Schichten besser gefördert werden.

Zu wenig Geld und zu wenig Personal

Doch dass dieses Bild Schönheitsfehler hat, darauf weist der Kölner Diözesanadministrator Dr. Stefan Heße hin: "Wir wünschen uns, dass es landesweite gesetzliche Standards gibt, denn bisher ist die Qualität doch von Kommune zu Kommune sehr unterschiedlich.“ Das lehnt Löhrmann, die eine Verfechterin ortsspezifischer Lösungen ist, aber ab. Ein weiterer Wunsch Heßes ist, dass das Land NRW die "finanziellen und personellen Rahmenbedingungen der Ganztagsschulen opulenter ausgestalten“ könnte.

Deutlicher formulieren das die Menschen an der Basis: "Uns fehlt eine Erzieherin, weil wir nicht genügend finanzielle Mittel haben“, erzählt eine Betreuerin aus dem Kreis Euskirchen. "Dadurch können wir den Kindern nicht so gerecht werden, wie wir das gerne wollen und wie es auch die Rahmenbedingungen der Politik und des Bistums von uns verlangen.“ Diese Leitziele des Landes NRW besagen, dass in den Offenen Ganztagsschulen vor allem schwächere Kinder besser gefördert werden sollen und es ein vielfältiges Lern- und Freizeitangebot geben soll.

"Richtige pädagogische Arbeit nicht möglich"

In einigen Gemeinden können die Betreuer das aber nicht leisten. Mancherorts kommen 30 oder mehr Kinder auf eine Erzieherin. "Wir sind eine Aufbewahrungsanstalt, aber richtige pädagogische Arbeit ist unter den Bedingungen nicht möglich“, meint ein anderer der über 450 Teilnehmer der Fachtagung. Und eine Kollegin ergänzt: "Ich habe Angst vor dem Thema Inklusion, denn das sind Kinder, die eigentlich Einzelbetreuung und Rückzugsräume brauchen. Die haben wir aber nicht.“

Erschwerend kommt hinzu, dass viele der Betreuungskräfte gar keine Berufsausbildung zum Erzieher gemacht haben. Zwar bietet das Bildungswerk der Erzdiözese Köln mit seinem Programm "SchulTag“ Fortbildungen an, die schon 5000 Mitarbeiter absolviert haben, doch "das ersetzt keine pädagogische Ausbildung“, wie der zuständige Referent im Bildungswerk, Max-Georg Beier, erklärt.

Ausbau, aber wo kommt das Geld her?

Bei der Frage nach zusätzlichen Geldern weist Schulministerin Sylvia Löhrmann darauf hin, dass man die Fördersätze für den offenen Ganztag vor drei Jahren um 14 Prozent auf 340 Millionen Euro erhöht hat. Zusagen für weitere Mittel, wie sie auf der Tagung überall gefordert werden, gibt die studierte Lehrerin nicht. Trotz der Schwierigkeiten will sie die Offene Ganztagsschule weiter ausbauen. Die Zahl der betreuten Grundschulkinder soll sich innerhalb der nächsten zehn Jahre verdoppeln.

Von Florian Müller


"Essen fassen!" - Schüler einer Ganztagesschule essen zu Mittag (dpa)
"Essen fassen!" - Schüler einer Ganztagesschule essen zu Mittag / ( dpa )
Quelle:
DR