Betroffener lobt unabhängige Aufklärung in Osnabrück

"Das war sehr gesund für die Diskussion"

Der Zwischenbericht zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück ist unabhängig. Wichtig war der Universität, dass Betroffene mit in der Steuerungsgruppe der Untersuchung dabei sind. Einer davon ist Karl Haucke.

Karl Haucke / © Lino Mirgeler (dpa)
Karl Haucke / © Lino Mirgeler ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Universität Osnabrück hat einen ersten Zwischenbericht zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück vorgelegt. Sie haben in der Vergangenheit schon einige solcher Veröffentlichungen verfolgt. Was wiederholt sich denn in Osnabrück?

Vorstellung eines Zwischenberichts der Studie zu sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück / © Lino Mirgeler (dpa)
Vorstellung eines Zwischenberichts der Studie zu sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück / © Lino Mirgeler ( dpa )

Karl Hauke (Mitglied der Steuerungsgruppe in Osnabrück): Das ist zunächst einmal die Verletzung der Pflicht des Bistums, angemessene Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Taten zu ergreifen. Es ist das klassische Bild. Man hat Beschuldigte weiter im Amt belassen, man hat sie in andere Gemeinden versetzt, ohne Vorsorge gegen weitere Taten zu treffen. Das sind Tatbilder, die wir schon kennen.

Eine weitere Pflicht, die verletzt wurde, ist die Pflicht zur Ermittlung weiterer Betroffener. Es muss ja darum gehen, herauszufinden, wie die Kirche eventuell noch helfen müsste. Auch da hat das Bistum Osnabrück einigermaßen versagt.

Eine dritte Pflicht, die oft verletzt wurde, war, dass es keine oder wenig Angebote zu psychotherapeutischer Hilfe gab.

DOMRADIO.DE: Was ist denn nach Ihrer Ansicht wirklich neu in dem Zwischenbericht?

Hauke: Neu ist die Art und Weise, wie er zustande kam. In dem Fall in Osnabrück war es tatsächlich so, dass die Forschergruppe selber das Design entwickelt hat und damit im Prinzip selber ihren Auftrag formuliert hat. Der wurde vom Geldgeber so genehmigt. Tatsächlich ist der einzige Rat, den es gab, die Entlohnung für die Forschungsgruppe oder für die Universität. Aber die Art und Weise des Auftrags und des Vorgehens haben die Forscher selbst entwickelt.

Eine weitere Neuigkeit ist die Unabhängigkeit. Und schließlich ist die Betroffenenbeteiligung in der Steuerungsgruppe wichtig. Es waren drei Betroffene dabei. Das ist ungewöhnlich. Es waren Betroffene aus anderen Tatkontexten. Einer kommt aus dem familiären Tatkontext. Ich selber komme aus dem Bereich der katholischen Schule und die dritte Betroffene hat einen evangelischen Hintergrund. Das war sehr gesund für die Diskussion, die wir geführt haben.

Studie: Pflichtverletzungen des Bistums Osnabrück bei Missbrauch

Auch im Bistum Osnabrück haben Bischöfe und andere Verantwortliche jahrzehntelang nicht angemessen auf Hinweise zu sexuellem Missbrauch reagiert. Dies belegt eine Studie der Universität Osnabrück, die nun vorgestellt wurde. Zudem seien die Rechte Betroffener bis in die jüngste Zeit oft verletzt worden.

In den vergangenen Jahren habe es aber nur noch wenige Verstöße gegen Pflichten des Bistums gegeben.

Sonnenschein am Dom zu Osnabrück / © Nicolas Ottersbach (DR)
Sonnenschein am Dom zu Osnabrück / © Nicolas Ottersbach ( DR )

DOMRADIO.DE: In der Pressekonferenz wurde von den Projektleitern darauf hingewiesen, dass es bis in die jüngste Zeit im Bistum Versagen und Pflichtverletzungen gab. Ganz besonders aber wurde darauf hingewiesen, dass die Pflichten gegenüber den Betroffenen nie und wenn, dann nur in ganz geringem Ausmaß berücksichtigt wurden. Welche Pflichten sind denn das?

Hauke: Da habe ich eine längere Liste. Das ist zum Beispiel die Ermittlung weiterer Betroffener, wie bereits erwähnt. Es ist zudem die Pflicht zur Hilfeleistung sowie möglicherweise die Pflicht zum Schadenersatz in der Verwaltung. Bei Anträgen und Anliegen in der Bistumsverwaltung haben sich die Mitarbeitenden pflichtwidrig bis unhöflich verhalten.

Dann ist das Bistum in sehr vielen Fällen nicht seiner Amtsermittlungspflicht nachgekommen. Schließlich gilt es noch zu erwähnen, dass auch die Beschleunigungspflicht nicht erfüllt wurde. Es gab Betroffene, die klagen über unendlich lange Bearbeitungswege.

DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie von den kirchlich Verantwortlichen?

Hauke: Eigentlich das gleiche wie bei all den anderen Studien und Gutachten auch. Ich erwarte und wir Betroffenen erwarten, dass aus den Erkenntnissen der Gutachten Konsequenzen gezogen werden. Und zwar auf einer anderen Ebene als das etwa in Köln war. Dieses Acht-Punkte-Programm, das der Generalvikar etwa eine Woche nach der dortigen Publikation verkündet hat, sei als Beispiel genannt. Davon waren sieben Punkte derartig gestaltet, dass sie ohnehin im Rahmen der Pflichten des Erzbistums gelegen hätten. Das sind keine Konsequenzen, die uns Betroffenen weiterhelfen.

Nein, es geht darum, treffende und entscheidende Maßnahmen vorzunehmen. Strukturelle Veränderungen wären zum Beispiel wichtig, was die Arbeitsteilung in der Bistumsspitze angeht, zum Beispiel auch bei der Beauftragung weiterer Studien, sodass es eine klare Trennung wie in Osnabrück zwischen dem Auftraggeber einer Studie und der durchführenden Forschungsgruppe gibt. Letztlich ist es mir auch wichtig im Zusammenhang mit weiteren Forschungsprojekten wichtig, dass wir, weil die Aufarbeitung in vielen Bistümern nicht so funktioniert, eine Art Kontroll- und Monitoringstelle haben, eine staatliche Aufsicht, ein unabhängiges Dach für die Arbeit der Aufarbeitungskommission.

DOMRADIO.DE: Was fordern Sie außerdem von der Politik und vom Staat?

Hauke: Für die Betroffenen wird ein gesetzlich verankertes Recht auf Aufarbeitung gebraucht. Bisher ist es ja mehr oder weniger dem Gutdünken der Täterorganisation überlassen, ob etwas zur Aufarbeitung unternommen wird und auch ob man den Betroffenen unterstützt.

Für die Täterorganisation, das ist dann das Gegenstück dazu, braucht es eine Pflicht zur Aufarbeitung. Ganz wichtig ist für Betroffene das Recht auf Akteneinsicht und zwar für jeden Betroffenen, auch und besonders über die Grenzen der kirchlichen Datenschutzregelungen hinweg. Denn das ist häufig ein großes Hindernis.

Wir haben auch in der Osnabrücker Studie feststellen müssen, dass der Datenschutz häufig als Argument gegen die Unterstützung der Betroffenen durch Akteneinsicht verwendet wird. Die Kirche sollte auf jeden Fall auch Betroffene mit Ressourcen ausstatten, damit sie sich selbst organisieren können, um Formen betroffenen-gerechter Zusammenarbeit zu entwickeln und vorzuschlagen.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Quelle:
DR