"Auf der einen Seite haben wir viel mehr Freiheiten, aber es fehlt uns heute so etwas wie ein Leuchtturm, der uns sagt, hier geht es lang – hier sind die Begrenzungen und in diesem Fahrwasser bist du sicher", sagt die Diplom-Psychologin Birgit Langebartels. Die Gründerin der medizinisch-psychologischen Beratungsfirma mediccoach und Leiterin Kids & Familiy Research beim Kölner Marktforschungsinstitut rheingold ist davon überzeugt, dass unser gesellschaftliches Klima Depressionen begünstigst. Und das habe eben auch damit zu tun, dass es uns an Sinngeneratoren fehle. "Wir brauchen wieder Sinn. Wir brauchen Sinn in unserem täglichen Tun. Sinn finde ich im Miteinander mit Menschen, im Austausch. Sinn sehe ich natürlich auch in der Religion. Das ist heute eine sehr viel komplexere Sinngebung als es noch früher war".
Heute gilt: Scheitern verboten
Wir leben in komplizierten Zeiten, denn wir müssen selbst herausfinden, was zu uns passt, ob der Glaube an Gott zum Beispiel für uns eine Plausibilität hat. Dieses dauernde Suchen und Finden in einer immer differenzierter werdenden Welt ist anstrengend und überfordert viele, denn heute muss alles ganz fix und schnell und erfolgreich gehen. Scheitern ist dabei verboten. "Wir können kaum noch etwas ausprobieren, weil wir uns nicht mehr zugestehen, auch mal zu scheitern", sagt Birgit Langebartels. "Wenn wir Einschränkungen erfahren in unserem Leben, die ganz normal sind, die Menschen einfach haben, denn wenn ich etwas tue, kann es gelingen, es kann aber auch etwas nicht gelingen, dann sehen depressive Erkrankte dieses Nicht-gelingen aber als ein Scheitern auf ganzer Linie an und es zieht ihnen den Boden unter den Füßen weg".
Über die Depression sprechen
Dazu kommt, dass eine Depression häufig immer noch als ein Zeichen der Schwäche gesehen wird. "Es wird heute immer noch in unserer Gesellschaft ein Mantel des Schweigens darüber gelegt", sagt Langebartels. "Es wird eigentlich immer nur der Stempel Depression oder Burn-Out aufgedrückt. Aber es wird nicht wirklich beschrieben, wie es mir damit geht, wie ich mich damit fühle". Sich da zu öffnen, den Angehörigen, den Kollegen gegenüber und darüber zu sprechen, wie es einem wirklich gehe – das sei auch ein erster Schritt aus der Depression, sagt die Psychologin.
Sich dem Verlust stellen
Auslöser von Depressionen können furchtbare Verluste sein, die nicht verwunden werden. Birgit Langebartels gibt dafür in ihrem Buch Beispiele von Menschen, die sie im Laufe ihrer Untersuchungen getroffen und interviewt hat. Sie schreibt über eine Frau, Anfang 40 mit zwei Kindern, die ihren Mann durch einen tragischen Verkehrsunfall verloren habe. Das sei natürlich ein ganz, ganz tragisches Ereignis und die Frau sei natürlich in eine sehr tiefe Traurigkeit und Trauer gestürzt, aber sie sei nicht in eine Depression verfallen, weil sie nicht an diesem: 'Ich möchte das festhalten mit meinem Mann, ich lasse ihn nicht gehen', festgehalten habe, sondern sie habe einen seelischen Umbau hinbekommen. Einen seelischen Umbau, der sich auch äußerlich gespiegelt habe. Die Frau habe ihr Wohnhaus umgebaut. Sie habe sich einen eigenen neuen Raum geschaffen, um diesen seelischen Gewaltakt hinzubekommen, erzählt Birgit Langebartels.
Die Überforderungen einer 'Working Mum'
Besonders für Frauen mittleren Alters tun sich in unserer fordernden Gesellschaft besonders viele Fallen auf. Birgit Langebartels spricht von den 'Working Mums' zwischen geforderter All-Macht und daraus folgernder Entkräftung, denn "wir möchten, die liebevolle Mutter, die sexy Partnerin, die tolle Freundin, die Karrierefrau sein. Wir wollen gut aussehen, wir wollen sportlich sein, wir wollen kreativ sein – und ich könnte das hier noch Stunden fortführen", sagt die Buchautorin. "Aber das ist so nicht machbar und überfordert jede Frau". Und könne dann eben auch zu einer Depression oder zu einem Burn-Out führen.
Birgit Langebartels hat ein sehr aufschlussreiches und gut lesbares Buch geschrieben, das Analyse und Ratgeber zugleich ist. "Mir ist es sehr wichtig, mit dem Buch auch zu zeigen, dass man nicht selber schuld daran ist, wenn man unter einer Depression leidet, aber man hat mehr in der Hand, um da wieder herauszukommen, als wir eigentlich denken", ist sie überzeugt.